Gasthaus Kirche
Impuls bei einer DEHOGA-Tagung (in Auszügen)
Evangelische Gästeseelsorge
Die Bezeichnung „Pfarrer für Preußen“, die vor kurzem ein Gesprächspartner für den Tourismuspfarrer gebrauchte, drückt die verbreitete an Annahme aus, bei der Gästeseelsorge gehe es einzig um den Gast. Vielleicht stehen die Kirchen bei Tourismusverbänden und Vermietern auch deshalb manchmal in Verdacht, bei der Urlauberseelsorge ein rein missionarisches Interesse an den Menschen zu haben. Das stimmt. Aber es geht in der Gästeseelsorge und in der kirchlichen Tourismusarbeit um vielmehr.
Gästeseelsorge ist im besten Sinne des Wortes „Kirche bei Gelegenheit“. Hier begegnet man Menschen in einer besonderen Stimmung und Situation, in der sie für Fragen nach der Tiefe in ihrem Leben empfänglich sind. 20 % aller befragten Bundesbürger bejahen nach der Reiseanalyse der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland), dass sie den Urlaub als Gelegenheit nutzen, um über Sinn und Gestaltung des eigenen Lebens nachzudenken. 20 % aller Urlauber in Bayern besuchen einen Gottesdienst. Urlaub empfindet man als eine besonders sinn- und wertvolle Zeit. Im Urlaub verbinden sich Jahresrhythmus und Lebensrhythmus.
Eigentlich bin ich ganz anders…
Tapetenwechsel ist im Urlaub angesagt. Man ist neugierig auf andere Länder, eine andere Umgebung, auf die Begegnung mit fremden Menschen. Ich kenne das von mir und meiner Frau sehr gut! Man will ausbrechen aus Routine und Strapazen des Berufslebens und sich inspirieren lassen von der Schönheit anderer Landschaften und Orte. Man sucht Ruhe für die von Hektik und Stress aufgescheuchte Seele. Man hofft, den Alltag für einige Zeit hinter sich zu lassen und aus der räumlichen Distanz heraus Freiheit zu gewinnen. Ins Blaue hinein leben statt Verpflichtung und Termindruck.
Ödon von Horvath sagt: „Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu!“
Im Urlaub kann man also spielerisch ein ganz anderes Leben ausprobieren. Ein Leben, zu dem man sonst nicht kommt. Und dann im Idealfall aus einem gelungenen Urlaub verwandelt zurückkehren. In christlicher Sprache würde es heißen: wie neu geboren. Fortgehen, um verändert wiederzukommen. Urlaub ist für viele intensiv erlebte, kostbare Zeit. Aber wegen ihrer Intensität ist die Urlaubszeit unter Umständen auch eine extrem anstrengende Zeit. Ehepartner, ganze Familien sind sich räumlich und zeitlich nie so nah wie im Urlaub. Alle Wünsche unter einen Hut zu bekommen geht nur mit manchem Kompromiss oder an einem Ort, der für jeden etwas zu bieten hat.
Kirche in einer mobilen Gesellschaft
Die Kirche ist in einer mobilen Gesellschaft herausgefordert, mit dem ihr eigenen Sinn-Angebot des Evangeliums gerade dann zur Stelle zu sein, wenn Menschen Zeit für sich selber und für die virulenten Fragen ihres Lebens haben. Oft werden die Fragen mit einer Pfarrerin oder einem Seelsorger „by the way“ erörtert. Wir nennen dies „Touch-and-go-Kontakte“. Sie ergeben sich am Rande von Veranstaltungen wie einem Berggottesdienst oder während einer spirituellen Wanderung.
Es ist der Auftrag meiner Kirche für andere in ihren besonderen Zeiten und Lebenssituationen aufgeschlossen zu sein und auf sie zuzugehen. Wer Kirche im Urlaub gastfreundlich und als aufmerksame Gesprächpartnerin für Glaube und Leben erfährt, wird vielleicht neugierig auf die Kirche zu Hause. An fremden Orten willkommen geheißen zu werden, bleibt in jedem Fall unvergessen.
Christliche Gastfreundschaft: Gott wohnt unter Menschen
„Vergesst nicht, gastfrei zu sein, denn dadurch haben einige ohne es zu bemerken Engel bei sich beherbergt“!
(Hebr. 13, 2)
Die Beherbergung von Gästen ist in seiner Geschichte eng mit biblisch-christlichen Formen der Gastfreundschaft verknüpft (Pilgerherbergen, Hospize, Klöster): sie ist nicht nur ein Werk der Barmherzigkeit, sondern dogmatisch gesehen geht es um das Wohnen Gottes unter den Menschen. Aus diesem Grund sind Gäste am Urlaubsort für die Kirche nach ureigenstem Verständnis Bereicherung und nicht nur Kunden, die in der Hauptsaison das Kollektenaufkommen beträchtlich steigern (so wichtig das auch ist).
Weil nach dem Verständnis meiner Kirche Gott bei den Menschen wohnt, laden wir Menschen im Urlaub zu unseren Veranstaltungen und Gottesdiensten ein. Gleichgültig ob jemand als Tagestourist eine Kirche als Sehenswürdigkeit besucht oder ob er das Gotteshaus als Refugium nutzt, um seinen Gedanken nachzugehen. Wir laden unsere Gäste unter Würdigung ihrer Lebensumstände ein: wir glorifizieren weder die kostbaren Tage des Urlaubs oder die Natur noch denunzieren wir den Alltag am Heimatort. Genauso schön wie die frische Luft auf einem Gipfel kann es zu Hause sein, wenn man wieder ungeniert die Füße auf den Tisch legen kann, selber kocht, die Vierbeiner und die Balkonpflanzen pflegt.
Wenn Gästeseelsorge den Anspruch hat, der Seele Gutes zu tun, dann liegt in dieser Arbeit ein schöpferisches Gut. Gott sagt über seine Schöpfung: Siehe, es war sehr gut! Wenn wir im Namen des Schöpfers handeln, muss unsere Arbeit mit Gästen (und generell) ebenso dieses Gütesiegel tragen: Siehe, es ist sehr gut! Diesen Anspruch dürfen auch unsere Gäste an unsere Gastfreundlichkeit haben.
Ich vergleiche die evangelische Kirche in Bayern gern mit einem Gasthaus. Genauso wie in der Gastronomie Saisonkräfte in der Hauptsaison angestellt werden, schreibt die evangelische Kirche drei- bis vierwöchige Einsätze für Pfarrer und Pfarrerinnen, Organisten und Kantorinnen während touristisch stark frequentierten Zeiten in Urlaubsgebieten aus.
Offene Kirchen
Die über 800 verlässlich geöffneten evangelischen Kirchen in Bayern geben dem Gasthaus Kirche Raum.
„In diese Kirche kehre ich immer wieder gerne zurück. Sie ist für mich ein Ort der Ruhe und Besinnung. Danke!“
„Kirche = Kirche! Und kein Museum. Hier schwingt mehr mit als bloße Historie. Ein MEHR, das die Menschen nicht nur im Verstand trifft, sondern im Herzen. Gut, dass es solche Räume gibt. Erhalten wir sie uns.“
Dies sind Einträge aus dem Gästebuch einer evangelischen Kirche in Bayern. Sie belegen: Kirchen sind Orte, die Menschen die Möglichkeit geben, in der Stille zu sich zu kommen, sie sind Rastplätze und Oasen für die Seele, sie sind Orte für Menschen in Not und Orte der Besinnung – eben Orte, die zum gelingenden Leben helfen können und das nicht nur am Sonntag während des Gottesdienstes.
Damit Sie leichter eine auch unter der Woche verlässlich geöffnete Kirche finden und solche oder ähnliche Erfahrungen machen können, gibt es in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern die Aktion „Unsere Kirche ist offen. Treten Sie ein!“
Die Kirchen, die an dieser Aktion beteiligt sind, finden Sie mit Hilfe dieser Homepage. Sie sind an einem vor/an der Kirche angebrachten Schild mit dem Logo zu erkennen.
Sie können diese Kirchen nicht nur zu den Gottesdienstzeiten, sondern auch unter der Woche zu den auf dem Schild angegebenen Zeiten besuchen – sei es, weil Sie sich im Alltagstrubel nach Ruhe sehnen, sei es, weil Sie einen stillen Ort zum Gebet suchen, sei es, weil Sie ein besonderes Kunstwerk einmal in Ruhe betrachten und meditieren wollen.
In den Kirchen finden Sie im Eingangsbereich auch kurze Informationen zu den Gebäuden und dem Gemeindeleben vor Ort.
In der Oberstdorfer Christuskirche bietet ein Multimedialer Kirchenführer seit September 2021 die Möglichkeit, den Kirchenraum zu erkunden und zu eigen zu machen.
Siehe auch hier: www.offene-kirchen-bayern.de