Energie

Energie

Berggottesdienst am 11. Oktober 2023 am Berggasthof Laiter
Autor: Roland Sievers

Biblische Lesung: Johannes 15, 1-8

Das Laub der Bäume flüstert mir grüne Geschichten. Und im Herbst bunte. Eine erzählt davon, dass Bäume eine gute Verbindung brauchen, um zu blühen und um Frucht zu bringen. Eine Verbindung nach unten wie nach oben. Glücklich ist der Mensch, der von den Bäumen lernt. Daran erinnert Jesus seine Freunde und Freundinnen als zu ihnen vom Weinstock redet:

»Ich bin der wahre Weinstock. Mein Vater ist der Weinbauer. Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht trägt. Und er reinigt jede Rebe, die Frucht trägt, damit sie noch mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein geworden durch das Wort, das ich euch verkündet habe. Bleibt mit mir verbunden, dann bleibe ich mit euch verbunden. Eine Rebe kann aus sich selbst herauskeine Frucht tragen. Dazu muss sie mit dem Weinstock verbunden bleiben. So könnt auch ihr keine Frucht tragen, wenn ihr nicht mit mir verbunden bleibt.
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts erreichen. Wenn ihr mit mir verbunden bleibt und meine Worte in euch bewahrt, dann gilt: Ihr dürft bitten, was immer ihr wollt –und eure Bitte wird erfüllt werden. Die Herrlichkeit meines Vaters wird darin sichtbar, dass ihr viel Frucht bringt und euch als meine Jünger erweist.«

Predigt

Am Ende zünden sie den Turbo. In Rekordzeit haben die Winzer*innen in den vergangenen Wochen die Ernte eingefahren. Licht und Wärme im September haben den Trauben noch einmal ein paar südliche Tage geschenkt. Für die aktu­el­le Wein­le­se gibt das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt eine vor­aus­sicht­li­che Ern­te­men­ge von 9,88 Mil­lio­nen Hek­to­li­tern in Deutsch­land bekannt. In den letzten 15 Jahren war der Ertrag nur einmal höher.

Gut fürs Geschäft. Und gut für uns. Für die Sommeliers. Für die Genießer*innen nach vollbrachtem Tagwerk. Und selbst für alle, die dem Rebensaft nichts abgewinnen können.

Der Weinstock hat mit anderem Laubwuchs gemein, was wir im Volkslied besingen:

Bunt sind schon die Wälder
Gelb die Stoppelfelder
Und der Herbst beginnt

Rote Blätter fallen
Graue Nebel wallen
Kühler weht der Wind

Seit Mitte August grüßt mit dem Morgennebel schon der Herbst. Jetzt werden auch die Nächte merklich kühler. Und die Schatten auch. Drei Wochen noch, dann ist Winterzeit.

Aber diese drei Wochen haben es in sich. Das Laub trägt bunt. Von Ahorn bis Wein. Eine erstaunliche Wandlung vor dem Fall. Eine Augenweide. Und ein Seelentrost. An die Bäume kann man sich halten, wenn der Seele bang ist. Rose Ausländer hält sich dann an Bäume. Sie dichtet: 

„Immer sind es Bäume,
die mich verzaubern.
Aus ihrem Wurzelwerk schöpfe ich
die Kraft für mein Lied.
Ihr Laub flüstert mir
grüne Geschichten
Jeder Baum ein Gebet,
das den Himmel beschwört
Grün die Farbe der Gnade,
Grün die Farbe des Glücks.“.

Nicht bunt. Grün hat´s angefangen im Frühling. Und das kommt so:

Die Blätter bekommen auf ihrer Unterseite durch kaum sichtbare Spalten Luft. Und Sonnenlicht bekommen sie. Eine schöne grüne Farbe bringt den Blättern das Licht. Licht brauchen die Blätter für den Aufbau von Stärke, die so genannte Photosynthese.

Das griechische Wort phos bedeutet Licht, synthesis bedeutet Zusammensetzung. Wunderbar ist, was durch Licht da zusammengesetzt wird:

Durch die Energie der Sonne wird nämlich das Chlorophyll in den Blättern angeregt, das griechische Wort chloros bedeutet hellgrün und phyllon bedeutet Blatt, also Blattgrün wird angeregt, Kohlendioxyd herauszulösen. Denn dieses Kohlendioxyd, ein Gas, Bestandteil der Luft, das sich jetzt frei im wasserhaltigen Pflanzensaft befindet, nimmt sich aus diesem Wasser andere Elemente und wandelt sie in Traubenzucker um.

Dieser Traubenzucker gibt der Pflanze die Energie, dass sie leben und wachsen kann. Sozusagen nebenbei scheidet die Pflanze dann durch die Spaltöffnungen auf der Unterseite des Blattes auch noch Sauerstoff aus. Und dieser Sauerstoff ist für die Menschen überlebensnotwendig. Ein hundertjähriger Baum liefert in einer Stunde ungefähr so viel Sauerstoff, wie 50 Menschen in genau dieser einen Stunde brauchen, um atmen zu können. Bei den Menschen wird Sauerstoff eingeatmet und Kohlendioxid und Wasser ausgeatmet. Ein natürlicher Kreislauf. Menschen und Pflanzen gehören zusammen als Einheit zum Leben in Gottes Schöpfung.

Wie gut, dass wir Weinstöcke haben! Wie gut, dass wir Bäume haben. Sie sehen nicht nur schön aus. Sie lassen uns atmen. Sie lassen uns leben. Uns – Menschen wie Tiere.

Ist das nicht eine erstaunliche Wandlung? Inwendig? Und dann für alle Welt sichtbar. Vom Werden bis zum Vergehen?

Ein treffliches Bild für ein Menschenleben. Wir sind in unserem Leben ständig dem Wandel ausgesetzt. Streng genommen sind wir mit unserem ersten Atemzug ja schon unserer Vergänglichkeit geweiht. Und zwischen Anfang und Ende ist das Leben so bunt. Wir trinken vom Entdeckergeist bis zur Spätlese. Wir fallen und stehen wieder auf und werden meistens klüger und irgendwann vielleicht auch weise. Wir werden an einem Ort geboren und erkunden aus Lust die Welt, suchen Obdach in der Not, finden Arbeit in der Fremde und fragen ein Leben lang, wo Heimat ist. Wir leiden an dieser Welt und denken, wir hätten schon alles gesehen, glauben, wir können alles ertragen und sind dann doch aufs Tiefste erschüttert, wenn wieder Gräuel vor unseren Augen verübt werden. Wir haben Wunder bestaunt und glauben, dass sie wieder möglich sind – nur wann? Nur wann?

Jeder Baum ein Gebet. Jedes bunte Blatt eine Verheißung. Jede Wurzel Halt. Für die kalten Tage. Für die harte Zeit. Für die finsteren Stunden. Die gibt es. In jedem Leben. Hätte ich nur Kälte, nur Härte, nur Dunkel um mich und keine Hoffnung auf einen Wandel zum Guten, ich würde kaputtgehen. Wie ein Weinstock in Hagel, Sturm und Frost.

Der Tatort am vergangenen Sonntag hat mir davon erzählt. „Aus dem Dunkel“ sein Titel. Aus dem Dunkel, aus dem Nichts, treibt einer sein niederträchtiges Spiel. Verschafft sich Zugang zu den Wohnungen seiner Opfer. Kontrolliert ihr Handy. Bestellt unter falschem Namen. Ruft nachts an. Beschimpft sie als „Dreck“ und dass sie Schuld wären an allem, was in ihrem Leben nicht gelingt. Und sie sollten ihrem schändlichen Leben doch ein Ende machen. „Aus dem Dunkel“ heraus treibt er Menschen in die Finsternis und in den Tod.

Als wenn eine Stimme aus dem Dunkel spricht, ruft Rose Ausländer dazwischen:
Der Bäume Laub flüstert mir
grüne Geschichten
Jeder Baum ein Gebet,
das den Himmel beschwört
Grün die Farbe der Gnade,
Grün die Farbe des Glücks.

Diese grünen Geschichten sind voller Energie. Voller Leben. Und das heißt: ein Leben, das ins rechte Licht gerückt ist. Ins Licht gestellt. Und auch eines, das sich dem Licht aussetzt. Damit es groß wird. Und stark. Ein Leben, dem es gelingt, Dinge zusammenzufügen, so wie die Blätter eines Baumes Licht und Sauerstoff.

Was für ein treffliches Bild für ein Menschenleben. Für ein Christenmenschenleben. Über das mir in der Taufe Jesus Christus gesagt hat: Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Oder anders gesagt: Ich bin dein Licht. Wenn du dich mir aussetzt, bin ich deine Energie, die dich wachsen lässt und dir Atem schenkt.

Ich sage nicht, dass das so leicht ist, wie es über die Lippen geht. Sich dem Licht aussetzen. Sich Jesus Christus aussetzen. Zusammenfügen und nicht trennen. Grünen. Sehen, was sich in mir wandelt. Ich denke mir die Welt bunt. Ich wage es, bunt zu tragen, auch wenn es kühn ist. Ich spüre, wie ich großzügig werde. Mit mir. Und mit anderen.

Und das heißt für mich:
Ich muss und ich werde nicht alles tun, was Jesus getan hat. Aber:
Ich lebe in seinem Geist.
Ich höre zwischen den Zeilen.
Ich schaue mir einen Menschen schön. Herz und Kopf.
Ich sage „Gern geschehen“ statt „Nicht der Rede Wert“.
Ich rede wahr, nicht schön.
Ich verteile zweite Chancen.
Ich freue mich aufrichtig mit.
Ich lasse Tränen zu.
Ich bette mich weich in der Gnade und quartiere das pochende Recht aus.
Ich verbinde, aber binde nicht fest.
Ich gebe Starthilfe.

Wie gesagt: leicht ist das nicht. Aber jeder Versuch ist´s wert. Nicht auszudenken, wenn meine Energie wirkt. Mein Licht und meine Wärme ausstrahlen in die kleinsten Poren. Direkt ins Herz. Direkt ins Blut. Dann könnte es passieren, dass wir untereinander einen Frieden spüren, der so herrlich ist, wie Gott ihn verheißt. Schalom für jedes Herz. Schalom für jede Stadt. Schalom für jedes Land. Schalom für diese Welt. Amen.

Im Anschluss wird an die Besucher*innen Traubenzucker verteilt.

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