Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Literaturgottesdienst am Sonntag Remiszere, 25. Februar 2024
Evang.-Luth. Christuskirche Oberstdorf

Musik

Begrüßung

Wir feiern Gottesdienst im Namen und in der Gegenwart Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Der Herr sei mit euch! Und mit deinem Geist!

Herzlich Willkommen in der Christuskirche. Ihr habt euch locken lassen zu einem Literaturgottesdienst. An diesem zweiten Sonntag in der Fastenzeit drehen sich die Texte in der Regel um die Barmherzigkeit Gottes. Einer bittet in einem Psalm: Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.“

Barmherzigkeit ist ein schönes altes Wort. Da steckt Herz drin. Gottes Herz, das für alle seine Geschöpfe schlägt. Da steckt Herzblut drin. Menschliche Leidenschaft, in der Gottes Herz pocht. Es pocht auf herzliches Erbarmen zwischen den Menschen.

Die Geschichten in der Bibel erzählen davon. Und auch die vergleichsweise moderne Literatur. Auch wenn das Buch, das heute bei uns zu Gast ist, 75 Jahre alt ist. In Anbetracht der alten biblischen Texte also noch blutjung. Das Buch hat also Jubiläum und sein Autor auch. Erich Kästner. Vorgestern war sein 125. Geburtstag. Im Juli jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.

Buch und Autor haben sich genau am richtigen Sonntag eingestellt. Wir hören von Herzblut und Herzweh. Wir hören von Mut und Leidenschaft. Wir hören, wie schwer es die Liebe hat in all dem Durcheinander, das wir Menschen anrichten.

Aber wer Gottes Herzschlag in sich glaubt und wer herzliches Erbarmen erfahren hat, für den ist das, wie ein Anker in unruhigen Zeit. Darum machen wir fest bei Gott und bitten: Hallte zu mir guter Gott, heut den ganzen Tag!

Lied: EG 641, 1-4  Halte zu mir, guter Gott

Gebet

Ein neuer Tag beginnt, und ich freu mich, Gott, auf dich!
Warst die ganze Nacht mir nah, dafür will ich danken. Und nun bin ich für dich da, diese Stunde ist dein.
Du begegnest mir im Wort, Gott, darin kann ich dich schauen. Du scheuchst alle Sorgen fort, du erhebst mir das Haupt.
Gott, ich weiß, der Weg ist gut, auf dem du mich leitest, sinkt mir manchmal auch der Mut, du selbst gehst voran.
Ein neuer Tag beginnt, und ich freu mich, Gott, auf dich! Amen.

Hinführung

Am 23. Februar 1899 wird Erich Kästner in Dresden als einziges Kind von Ida und Emil Kästner geboren. Ob´s der leibliche Vater ist, ist bis heute nicht sicher. Vielleicht ist´s nicht mehr als ein Gerücht.

Kein Gerücht ist, dass Ida Kästner eine Helikoptermutter wie aus dem Lehrbuch war. Erich schreibt in seinem Buch „Als ich ein kleiner Junge war“:

„Ida Kästner wollte die vollkommene Mutter ihres Jungen werden und weil sie das werden wollte, nahm sie auf niemanden Rücksicht – auch auf sich selber nicht und wurde die vollkommene Mutter. Deshalb durfte ich sie nicht enttäuschen. Es (…) gab für mich, (…) keinen Zweifel, ich musste der vollkommene Sohn sein.“

Das gelang ihm nicht so ganz. Denn Ida hatte sich für den Filius eine Karriere als Lehrer ausgemalt.

Den Lehrer Erich Kästner gab es nicht. Wohl aber den Schulmeister in seinen Büchern. Bei den Nationalsozialisten kommt Kästners Sicht der Dinge nicht gut an. Bei der Verbrennung seiner Bücher ist Erich anwesend. Offiziell darf er nicht publizieren. Unter einem Pseudonym veröffentlicht er weiter. Nimmt von den Nationalsozialisten die Einladung an, für den Unterhaltungsfilm „Münchhausen“ das Drehbuch zu schreiben.

Widersprüchlich ist Kästner auch in seinem Liebesleben. Er verliebt sich und verliert die Liebe wie andere einen Stock oder Hut. Kästner lernt 1940 Luiselotte Enderle kennen. Sie wird Namenspatrona für das doppelte Lottchen und deren Mutter.

Als Kästners Wohnung ausgebombt wird, zieht er zu Luiselotte. Sie wird seine Gefährtin bis zu seinem Tode 1974 bleiben, auch als Kästner 1957 einen Sohn mit Friedel Siebert bekommt. Er pendelt zwischen den beiden Frauen hin und her, aber er verleugnet seine kleine Familie offiziell. Eine für alle Beteiligten zermürbende Situation. Luiselotte Enderle betäubt sich mit Alkohol, und Kästner trinkt mit. Friedel Siebert bricht mit dem Kindsvater.

In Echt ist Erich Kästner ein ebenso abwesender Vater wie manche Väter in seinen Kinderbüchern. Doch als Schriftsteller gibt er einen wunderbaren Vater ab. Für seinen Sohn Thomas schreibt er mit seinen beiden letzten Büchern entspannte, lebendige, kindgemäße Alterswerke.

Erich Kästners Beziehung zu seinen Eltern, die Lebensumstände seiner Kindheit und seine tiefe Sehnsucht nach einem glücklich harmonischen Familienleben finden in dem entzückenden Kinderbuch „Das doppelten Lottchen“ seinen Ausdruck.

Alles beginnt in einem Ferienlager im fiktiven Ort Seebühl im Allgäu. Luise Palfy, aus Wien, 9 Jahre alt, ist schon da. Für heute ist die Ankunft weiterer Kinder angekündigt, zu denen auch Lotte Körner aus München gehört:

Lesung 1: Das Kennenlernen vom Schreck zur Annäherung (12-14.22-23)

(12-14) Der Omnibus rollt die Straße entlang, biegt vorsichtig in die Einfahrt und hält. Der Chauffeur steigt aus und hebt fleißig ein kleines Mädchen nach dem anderen aus dem Wagen.

Zum Schluss taucht, mit seinen Habseligkeiten, im Rahmen der Tür das zwanzigste Mädchen auf. Ein ernst dreinschauendes Ding. Der Chauffeur streckt bereitwillig die Arme hoch.

Die Kleine schüttelt den Kopf, dass beide Zöpfe schlenkern. „Danke nein!“, sagt sie höflich und bestimmt und klettert, ruhig und sicher, das Trittbrett herab. Unten blickt sie verlegen lächelnd in die Runde. Plötzlich macht sie große, erstaunte Augen. Sie starrt Luise an! Nun reißt auch Luise die Augen auf. Erschrocken blicken sich die Neuen ins Gesicht.

Die anderen Kinder (…) schauen perplex von einer zur anderen. Der Chauffeur schiebt die Mütze nach hinten, kratzt sich am Kopf und kriegt den Mund nicht wieder zu. Weswegen denn?

Luise und die Neue sehen einander zum Verwechseln ähnlich! Zwar, eine hat lange Locken und die andere streng geflochtene Zöpfe – aber das ist auch wirklich der einzige Unterschied!

Da dreht sich Luise um und rennt, als werde sie von Löwen und Tigern verfolgt, in den Garten.“

Der Schreck ist groß. Noch in der Nacht.

(22-23) Es ist Nacht. Und alle Kinder schlafen. Bis auf zwei.

Diese zwei haben einander den Rücken zugekehrt, tun, als schliefen sie fest, liegen aber mit offenen Augen da und starren vor sich hin.

Luise blickt böse auf die silbernen Kringel, die der Mond auf ihr Bett malt. Plötzlich spitzt sie die Ohren. Sie hört, leises, krampfhaft unterdrücktes Weinen.

Lotte presst die Hände auf den Mund. Was hatte ihr die Mutter beim Abschied gesagt: „Ich freu mich so, dass du ein paar Wochen mit vielen fröhlichen Kindern zusammen sein wirst! Du bist zu ernst für dein Alter, Lottchen! Viel zu ernst! Ich weiß, es liegt nicht an dir. Es liegt an mir. An meinem Beruf. Ich bin zu wenig zu Hause. Wenn ich heimkomme, bin ich müde. Und du hast inzwischen nicht gespielt wie die anderen Kinder, sondern aufgewaschen, gekocht, den Tisch gedeckt. Komm bitte mit tausend Lachfalten zurück, mein Hausmütterchen!“

Und nun liegt sie hier in der Fremde, neben einem bösen Mädchen, das sie hasst, weil sie ihm ähnlich sieht. Sie seufzt leise. Da soll man nun Lachfalten kriegen. Lotte schluchzt vor sich hin.

Plötzlich streicht eine kleine fremde Hand unbeholfen über ihr Haar! Lottchen wird stocksteif vor Schreck. Vor Schreck? Luises Hand streichelt schüchtern weiter.

Der Mond schaut durchs große Schlafsaalfenster und staunt nicht schlecht. Da liegen zwei kleine Mädchen nebeneinander, die sich nicht anzusehen wagen, und die eine, die eben noch weinte, tastet jetzt mit ihrer Hand ganz langsam nach der streichelnden Hand der anderen.

„Na gut“, denkt sich der alte silberne Mond. „Da kann ich ja beruhigt untergehen!“ Und das tut er denn auch.

Musik: Engelbert Humperdinck: Abendsegen aus „Hänsel und Gretel“

Lesung 2: Die Verschwörung 50.40.51

Aus den zart geknüpften Banden der Nacht werden in den nächsten Tagen unzertrennliche. Sie machen das, was Zwillinge tun: Sie tauschen die Rollen tauschen und freuen sich diebisch, wenn die anderen es nicht merken. Und weil das so ist, reift ein Plan:

(50) Es ist eine Verschwörung im Gange! Der von Sehnsucht und Abenteuerlust geweckte, fantastische Plan sieht so aus: Die beiden wollen die Kleider, Frisuren, Koffer, Schürzen und Existenzen tauschen! Luise will, mit braven Zöpfen (und auch sonst um Bravsein bemüht), als sei sie Lotte, zur Mutter, von der sie nichts als eine Fotografie kennt, „heimkehren“! Und Lotte wird, mit offenem Haar und so lustig und lebhaft, wie sie´s nur vermag, zum Vater nach Wien fahren.

(40) Sie wissen wechselweise schon recht gut Bescheid über die Lebensgewohnheiten, über die Schulkameradinnen, die Nachbarn, die Lehrerinnen und Wohnungen der anderen! Für Luise ist ja alles, was mit der Mutter zusammenhängt, so ungeheuer wichtig! Und Lotte verzehrt sich, alles, aber auch alles über den Vater zu erfahren, was die Schwester weiß! Tag für Tag sprechen sie von nichts anderem. Und noch abends flüstern sie stundenlang in ihren Betten. Jede entdeckt einen anderen, einen neuen Kontinent. Das, was bis jetzt von ihrem Kinderhimmel umspannt wurde, war ja, wie sich plötzlich herausgestellt hat, nur die eine Hälfte ihrer Welt.

(51) Vielleicht wird es ihrer gemeinsamen Aufmerksamkeit am Ende sogar gelingen zu enträtseln, warum die Eltern getrennt leben? Und vielleicht werden sie dann eines schönen, eines wunderschönen Tages miteinander und mit beiden Eltern… – doch so weit wagen sie kaum zu denken, geschweige denn darüber zu sprechen.

Aber die Sehnsucht ist da, nach Liebe von Vater und Mutter, nach Glück und Ganzsein der zerrissenen Familie. Als Christinnen und Christen setzen wir unsere Hoffnung auf Gott, der uns wie Mutter und Vater ist. Von unserer Sehnsucht singen wir.

Lied: KAA 075 Da wohnt ein Sehnen tief in uns

Predigt 1. Teil

Jetzt wird´s ernst. Erich Kästner schert aus der Rolle des Erzählers aus. Denn er ist sich bewusst: was er erzählt, ist für die Ohren seiner Zeit unerhört. Erich Kästner ruft uns zu:

(63) Wertgeschätzte kleinere und größere Leserinnen und Leser! (…) Sollte euch an dieser Stelle des Buches ein Erwachsener über die Schulter blicken und rufen: „Dieser Mensch! Wie kann er nur, um alles in der Welt, solche Sachen den Kindern erzählen!“ (…) Dann richtet ihm einen schönen Gruß von mir aus und ich ließe ihm sagen, es gäbe auf der Welt sehr viele verschiedene Eltern und es gäbe sehr viele Kinder, die darunter litten! Und es gäbe sehr viele andere Kinder, die darunter litten, dass die Eltern sich nicht scheiden ließen!  Wenn man aber den Kindern zumutete, unter diesen Umständen zu leiden, dann sei es doch wohl allzu zartfühlend und außerdem verkehrt, nicht mit ihnen darüber in verständiger und verständlicher zu sprechen.

Was Gott zusammengefügt hat, dass soll der Menschen nicht scheiden. Das ist uns gesagt. Aber wenn kein Segen drauf liegt? Wenn es nur Verletzte gibt und kein Weg mehr zueinander führt? Dann sei es Gott geklagt. Dann sei er gebeten: Gedenke deiner Barmherzigkeit.

Die Bitte ist gut begründet: die Bibel erzählt von Abrahams Magd Hagar, die ein Kind von Abraham hatte, mit Namen Ismael. Sie musste gehen, weil Abrahams Frau Sarah dieses Dreierverhältnis nicht aushielt. Auf ihrer Flucht ist sie mit ihrem Knaben in der Wüste kurz vor dem Verdursten. Da führt sie ein Engel Gottes zu einer Quelle. Und Hagar bekennt: Du bist ein Gott, der mich sieht. Die Botschaft ist: Gott bleibt, auch wenn Menschen sich trennen.

Luiselotte Körner, geschiedene Palfy hatte sich von ihrem Herrn Gemahl getrennt als die Zwillinge noch Säuglinge waren. Sie wollte keinen unzuverlässigen Hallodri, der in seinem Künstleratelier ein Refugium hatte, um dem Kinderschrei zu entgehen, ungestört arbeiten zu können und fleißig Damenbesuch empfing.

Was die getrennten Palfys durchleben, ist heute immer noch Alltag. Die Familienform Alleinerziehend ist weit verbreitet. Trennung, Tod oder eine Single-Elternschaft führen zum Alleinerziehen.

Die Mehrheit der Trennungseltern hält den Kontakt zueinander aufrecht. Sie regeln den Umgang einvernehmlich. Knapp ein Viertel hat nach der Trennung keinen Kontakt mehr. Was aber allen Stress bereitet, ist die Frage der Aufteilung der Verantwortung für die Kinder und der Höhe der zu leistenden Unterhaltszahlungen.

Die Palfys konnten sich nicht einigen, wo die Kinder leben sollten. Und so bekam jedes Elternteil eines.

Luise wächst bei ihrem Vater auf und ist bestens betreut, auch wenn die Resi a falsche Blunzn ist, wie Luise meint.

Lotte wächst bei ihrer Mutter in München auf. Sie managt den Haushalt, weil die Mutter im Verlag Arbeit über Arbeit hat. So ist es immer noch: Alleinerziehende, die den Familienalltag ohne Partner organisieren müssen, sind besonders stark auf Betreuungsangebote angewiesen. Und wenn es die nicht gibt, dann werden Kinder viel zu früh erwachsen.

Für die Eltern ist die Situation belastend. Und erst recht für die Kinder. Die aushalten. Die tragen. Die schweigen. Weil sie nicht sagen können, wie ihnen zumute ist. Weil sie Angst haben, auszusprechen, was in ihnen steckt.

Die Schriftstellerin Karin Jäckel hat aus ihrer langjährigen Arbeit mit Kindern heraus 20 Bitten formuliert, die Kinder an ihre getrennt lebenden Eltern haben. Ich lese nur ein paar von ihnen.

1. Helft mir, zu dem Elternteil, bei dem ich nicht ständig bin, Kontakt zu halten.

2. Fragt mich nicht, wen ich von euch beiden lieber mag. Macht den anderen also nicht schlecht vor mir.

3. Redet miteinander wie erwachsene Menschen. Benutzt mich nicht als Boten zwischen euch.

4. Verplant nie die Zeit, die mir mit meinem anderen Elternteil gehört.

5. Seid nicht enttäuscht oder böse wenn ich bei meinem anderen Elternteil bin.

6. Gebt mich nicht wie ein Paket vor der Haustüre meines anderen Elternteils ab. Wenn ich abgeholt oder gebracht werde, gibt es kurze Momente, in denen ich euch beide habe.

7. Streitet nicht vor mir.

8. Versucht nicht, mich um die Wette zu verwöhnen. Soviel Schokolade kann ich nämlich gar nicht essen.

9. Seid optimistisch. Eure Ehe habt ihr nicht hingekriegt – aber ihr seid immer noch meine Eltern. Also lasst uns wenigstens die Zeit danach gut hinbekommen.

Diese Bitten hätten auch von Erich Kästner sein können. Nun ist ausgesprochen, was auf der Kinderseele liegt. Aber wenn nicht geredet wird, Familiengeheimnisse verschwiegen werden, dann kann es passieren, dass sich in der Traumwelt eines Kindes die Wirklichkeit festsetzt und wilde Phantasien befeuert.

Was ein gutes Stichwort ist: Denn die falsche Luise wohnt einer Aufführung der Oper „Hänsel und Gretel“ bei, die ihr Vater, der Herr Hofkapellmeister Palfy, dirigiert. Und was sie sieht, lässt ihr den Atem stocken.

(78) „Da unten schicken die Eltern zwei ihrer Kinder in den Wald, um sie loszuwerden. Dabei haben sie die Kinder doch lieb. Wie können sie dann so böse sein? (…) Durften diese tun, was sie getan haben?“

Trotz aller Lasten bringt das Zwillingswechselspiel Bewegung in den Alltag von Vater und Mutter.

Der Vater stellt fest, dass er noch nie im Leben so viel komponiert hat. Und noch nie sowas Gutes. Eine Kinderoper wird´s werden. Ausgerechnet. Und es kommt noch toller: Das Zwillingsspiel wird den guten Herrn Hofkapellmeister Palfy zu einer Melodie führen wird, (150) „so einfach und herzgewinnend, als ob zwei kleine Mädchen mit ihren hellen, reinen Kinderstimmen sie sängen. Auf einer Sommerwiese. An einem kühlen Gebirgssee, in dem sich der blaue Himmel spiegelt. Jener Himmel, der höher ist als aller Verstand und dessen Sonne die Kreaturen wärmt und bescheint, ohne zwischen den Guten, den Bösen und den Lauen einen Unterschied zu machen.“

Die Mutter verändert sich und spricht zu sich selber: (94f.) „Du hast aus einem fügsamen kleinen Wesen eine Haushälterin gemacht, aber kein Kind! (…) Eine Mutter hat – und hätte sie noch so viele Sorgen – vor allem die Pflicht, ihr Kind davor zu bewahren, dass es zu früh aus dem Paradies der Kindheit vertrieben wird!“

Musik: Antonin Dvorak: Aus der neuen Welt, Largo, 2. Satz | alt. EG 395, 1-3  Vertraut den neuen Wegen

Biblische Lesung: Kolosser 3 i.A. (Übersetzung „Hoffnung für alle“)

Als Christinnen und Christen glauben wir: das letzte Wort ist noch nicht gesprochen über diese Erde und über diesen Himmel. Das glauben wir aus gutem Grund: Jesus Christus hat darum gerungen, dass das Leben miteinander gut geht. Für jeden Menschen hat er sich ein Herz genommen. Seinen Mut und sein Gottvertrauen in beide Hände. Er hat sich auf die Liebe festnageln lassen. Ist aufgestanden gegen den Tod und seine Handlanger.
Als Christinnen und Christen eifern wir ihm nach. So gut wir es vermögen. Darum lassen wir uns an diesem Morgen Worte aus dem Kolosserbrief sagen:

Ihr seid nun mit Christus zu einem neuen Leben auferweckt worden. Darum richtet eure Gedanken auf Gottes himmlische Welt und nicht auf das, was diese irdische Welt ausmacht.

Gott ist beständig in euch am Werk, damit ihr immer mehr seinem Ebenbild entsprecht, nach dem er euch geschaffen hat.

Ihr seid von Gott auserwählt und seine geliebten Kinder, die zu ihm gehören. Darum soll jetzt herzliches Mitgefühl euer Leben bestimmen, ebenso wie Güte, Bescheidenheit, Nachsicht und Geduld. Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig, wenn jemand euch Unrecht getan hat. Denn auch Christus hat euch vergeben.

Wichtiger als alles andere ist die Liebe. Wenn ihr sie habt, wird euch nichts fehlen. Sie ist das Band, das euch verbindet. Und der Friede, den Christus schenkt, soll euer ganzes Leben bestimmen. Gott hat euch dazu berufen, in Frieden miteinander zu leben; ihr gehört ja alle zu dem einen Leib von Christus. Dankt Gott dafür!

Predigt 2. Teil

Wer weiß es schon: vielleicht war Gott beständig am Werk, als er Luise und Lotte zusammenführte und ihre Umsturzpläne reifen ließ. Der ihren Mut stärkte, in die Rolle der anderen zu schlüpfen und sich einem vollkommen fremden Menschen in einer fremden Umgebung auszusetzen. Ehrlich: mir ginge da die Düse. Für die Zwillinge geht lange alles gut. Die Abenteuerlust überdeckt die Gefahr, dass alles auffliegt. Aber der Druck wird größer. Die falsche Luise wird davon krank. „Nervenkrank“ lautet die Diagnose. Die falsche Lotte kriegt in der Küche nichts mehr auf die Reihe. Erich Kästner gibt den Kinderversteher: (112) „Er weiß wie schwer Kummer auf ein Kinderherz drücken kann. Er war selber mal ein Kind und hat es, im Gegensatz zu den meisten Erwachsenen, nicht vergessen.“

Gott sei Dank kommt der Moment, in dem der Druck aus dem Kessel weicht. Vielleicht hat Gott den Zufall gefügt, dass der Herr Eipeldauer, bei dem Luise und Lotte während des Ferienlagers Fotos haben machen lassen, ein Exemplar ausgerechnet an den Verlag geschickt hat, für den die Mutter arbeitet. Wir lassen jetzt die Frage gnädig beiseite, ob das datenschutzkonform war. Es hat ja einem guten Zweck gedient. Der Mutter gehen die Augen über, als sie ihre Kinder auf dem Foto sieht. Auf einmal versteht sie alles. Auch die plötzliche Wandlung ihrer Tochter. Ein neuer Himmel und eine neue Erde tut sich auf – für sie und die ganze getrennte Familie. Mit Aussicht auf ein Happy End.

Aber dafür muss die Liebe mit allen ihren Spielarten aufwarten. Mitgefühl, Güte, Bescheidenheit, Nachsicht, Geduld. Auch Vergebung. Sie muss alle Beteiligten in den Blick nehmen. Sich immer wieder besinnen, was dran ist. Was dem Frieden dient. Wie die Zukunft aussehen kann.

Luise und Lotte haben eine genaue Vorstellung von der Zukunft. Luise spricht es gegenüber den Eltern aus: (151) Lotte und ich wünschen uns von euch zum Geburtstag, dass wir von jetzt ab immer zusammenbleiben dürfen! (…) Wir werden bestimmt gut folgen. Noch viel mehr als jetzt. (…) Das versprechen wir euch!“

Die Liebe braucht kein Indianerehrenwort. Schon gar nicht von Kindern.. Ob eine Ehe gelingt, liegt nicht in ihrer Verantwortung. Nein, die Liebe braucht Taten. Und einen Geist, der zueinander führt. Sie braucht das Gebet. Zumindest, wenn man glaubt, dass nichts Anderes mehr helfen würde. Luise und Lotte legen sich für das Happy End nochmal richtig ins Zeug.

Lesung 3 Happy End

(154) Vier kleine Daumen werden von vier kleinen Händen umklammert und gedrückt. Lotte bewegt tonlos die Lippen.

„Betest du?“, fragt Luise.

Lotte nickt.

Da fängt auch Luise an, die Lippen zu bewegen. „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast!“, murmelt sie, halblaut.

Lotte schüttelt unwillig die Zöpfe.

„Es passt nicht“, flüstert Luise entmutigt. „Aber mir fällt nichts anderes ein. Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne…“

„Wenn wir einmal von uns beiden gänzlich absehen “, sagt gerade Herr Palfy nebenan und schaut unentwegt auf den Fußboden, „so wäre es zweifellos das Beste, die Kinder würden nicht wieder getrennt. (…)

„Vater und Mutter wollen sie haben, unsere Kinder“ Ist das unbescheiden?“, fragt die junge Frau forschend. (…)

Luise steht an der Tür und presst ein Auge ans Schlüsselloch. Lotte steht daneben und hält beide kleinen Fäuste, die Daumen kneifend, weit von sich.

„Oh, oh, oh!“, murmelt Luise. „Vati gibt Mutti einen Kuss!“

Lottchen schiebt, ganz gegen ihre Gewohnheit, die Schwester unsanft beiseite und starrt nun ihrerseits durchs Schlüsselloch.

„Nun?“, fragt Luise. „Noch immer?“

„Nein“, flüstert Lottchen und richtet sich strahlend hoch.

„Jetzt gibt Mutti Vati einen Kuss!“

Da fallen sich die Zwillinge jauchzend in die Arme!

Und wenn sie nicht gestorben sind…. Nein, das ist der falsche Schluss. „Das doppelte Lottchen“ ist ja kein Märchen. Es ist eine wahre Geschichte bis auf den heutigen Tag. Sie erzählt von dem Wunsch, dass jeder Mensch so angesehen ist, wie er ist. Mit all seinem Vermögen und seinem Scheitern. Dass er sich die Liebe nicht erkaufen kann. Und auch nicht muss. Die Geschichte erzählt vom Sehnen, dass kein Mensch verloren geht in allem Durcheinander, das wir Menschen anrichten. Die Geschichte hält den Traum wach, dass einmal alles gut wird. Für mich ist das der Friede, den Christus schenkt. Er soll unser Leben bestimmen. Und wenn er kommt: dankt Gott dafür! So soll es sein. Amen.

Singen wir von dem, was wir glauben: Weißt du, wieviel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt:

Lied: EG 511, 1+3 Weißt du wieviel Sternlein stehen

Abkündigungen

Fürbitte

Gedenke deiner Barmherzigkeit, du unser Gott. Wenn wir an unsere Grenzen kommen, dann komm und erfülle uns mit deiner Liebe. Darum bitten wir dich:

Für die Menschen, die Kriege austragen sei es mit Rosen oder mit Waffen:
Trockne die Tränen der Kinder, die um ihre Eltern weinen.
Wisch ab die Tränen der Eltern, die um ihre Kinder trauern.

Sende deine Geistkraft
zu den Paaren, die sich nicht mehr verstehen,
zu den Familien, die getrennt sind,
zu den Patchwork-Familien, die sich finden müssen

Komme du mit deiner Hilfe.
zu allen, die überfordert sind,
zu allen, die daran leiden, ihren Kindern nicht gerecht zu werden
zu allen, die nicht wissen, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen:

Komme du mit deiner Sanftmut
zu allen, die Kinder betreuen,
zu allen, die Familien mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Sprich du dein Wort.
zu allen, die ein Wort brauchen, das sie aufbaut
zu allen, die auf ein Wort warten, das vergibt
zu allen, die daran zweifeln, dass sie geliebt sind.
zu allen, die Halt in ihrem Leben suchen.

In dem Gebet deines Sohnes halten wir uns an dir fest. Wir beten in Jesu Namen:

Vaterunser

Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segenslied: KAA 0108 Mögen sich die Wege | alt. EG 170, 1-3  Komm, Herr, segne uns

Segen

Gott segne dich und behüte dich.
Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Gott erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir + Frieden. Amen.

Musik

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