Zämed duss

Zämed duss

Predigt zum Tag der Deutschen Einheit 2018, 3. Oktober 2018, Nebelhorn
Zämed duss = gemeinsam draußen

Jesus fuhr mit dem Boot zu einer abgelegenen Stelle, um allein zu sein. Die Volksmenge hörte davon und folgte ihm. Die Menschen kamen auf dem Landwegaus den umliegenden Orten herbei.

Als Jesus ausstieg, sah er die große Volksmenge. Da bekam er Mitleid mit den Menschen und heilte die Kranken unter ihnen.

Als es dunkel wurde, kamen seine Jünger zu ihm und sagten: »Es ist eine einsame Gegend hier, und es ist schon sehr spät. Schick die Leute doch weg. Dann können sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen.«

Aber Jesus antwortete: »Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt doch ihr ihnen etwas zu essen!«

Da antworteten sie: »Wir haben hier nur fünf Brote und zwei Fische!«

Aber Jesus sagte: »Bringt sie mir her!« Dann ordnete er an: »Die Leute sollen sich zum Essen im Gras niederlassen!« Und Jesus nahm die fünf Brote und die zwei Fische. Er blickte zum Himmel auf und dankte Gott. Dann brach er sie in Stücke und gab sie den Jüngern. Die Jünger verteilten sie an die Volksmenge.

Die Leute aßen, und alle wurden satt. Danach sammelten sie die Reste ein und füllten damit zwölf Körbe.

Etwa 5000 Männer hatten gegessen –dazu noch Frauen und Kinder.

Matthäus 14, 13-31

Peter, Doris, Günter und Petra gehen in die Luft. Buchstäblich. Mit einem Heißluftballon über-winden sie bei einer Nacht- und Nebelaktion die deutsch-deutsche Grenze. Sie fahren hoch hin-aus. Über 2500m. Also über uns und über den Gipfel des Nebelhorns hinweg. Unerreichbar für die Suchscheinwerfer der Grenzer. Sie fahren getrieben von der Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit. Luft zum Atmen. Gezogen von dem vermeintlichen Paradies, das sie den „Westen“ nen-nen. Und sie landen glücklich auf dem Boden des anderen Deutschlands. Die Geschichte dieser vier und ihrer Kinder ist gerade in die Kinos gekommen.
Eine deutsche Geschichte. Aus dem Jahr 1979. Als kaum jemand ernsthaft daran glaubt, dass es jemals eine deutsche Einheit geben könnte.

Eine deutsche Geschichte. Sie nimmt ein gutes Ende. Ein misslungener erster Versuch nimmt Peter, Doris, Günter und Petra nicht die Energie. Sie halten an ihrem Traum fest. Und sie werden belohnt.
Eine deutsche Geschichte. Sie erzeugt bei mir Gänsehaut. Es berührt mich, wenn Menschen sich zusammentun und für ihre Träume ihr Leben aufs Spiel setzen. Es berührt mich immernoch, wie zehn Jahre nach der Flucht der Ballonfahrer das Volk friedlich schafft, was keiner für möglich gehalten hat. Es ist immer noch ein Wunder.

Wie ein Wunder hört sich an, was ich in der Bibel lese. Da sollen fünftausend Männer samt ihrer Frauen und Kinder satt geworden sein von fünf Broten und zwei Fischen. Eigentlich ist Jesus an diesem Tag ganz und gar nicht nach Menschenmasse. Er braucht dringend Ruhe. Die Menschen aber hängen an ihm. Sie wollen ihm nahe sein. Und so folgen sie ihm. Da „jammert“ es Jesus. Er begreift, wie groß die Sehnsucht der Menschen nach Glück ist. Was auch immer das für jeden und jede einzelne bedeutet. Jesus bleibt bei ihnen. Spricht zu ihnen. Heilt offenbar Kranke.

Es wird Abend. Die Jünger meinen: jeder soll für sich selber sorgen, wenn er Hunger hat. Jesus tickt anders. Er weiß: in einer Gemeinschaft liegt soviel Kraft, die alle satt machen kann. Heute loben wir das Potential, das eine Gemeinschaft hat. Und ihre Ressourcen muss man nutzen. So fragt Jesus, was denn vorhanden ist. Fünf Brote und zwei Fische. Das ist ein lächerliches Resul-tat, wenn ein paar Tausend Menschen versammelt sind. Und wenn die satt werden sollen. Aber sie werden satt.

Ich stelle mir das vor wie auf einer Wanderung. Ich nehme mir ne Brotzeit mit. Und wenn es Fa-milien sind, dann ist da ein ganzer Rucksack voll mit allem, was im Notfall nötig sein könnte: Windeln, Spielzeug, Gummibärchen. So ähnlich wird es damals auch gewesen sein. Die Menschen lagern sich, als Jesus das vorschlägt. Sie sehen, wie er Brot und Fische den Jüngern gibt zum Verteilen. Und sie beteiligen sich. Sie schauen, was sie in ihrem Handgepäck haben. Was brauchbar sein könnte. Und siehe da, wenn alle zusammenlegen, dann werden auch alle satt. Je-der hat etwas beizutragen. Der eine vielleicht nur ein Stück trockenes Brot, die andere Datteln und Feigen, wieder einer getrockneten Fisch und eine weitere den Kuchen vom Vortag.

Das Wunder besteht darin, dass die Menschen sich einander öffnen, dass sie teilen, dass sie er-kennen: Ich hätte da auch noch eine Kleinigkeit. Ich kann abgeben von dem, was mein Proviant hergibt. Peter, Doris, Günter und Petra und viele andere mit ihnen legen all ihren Mut zusammen. Ihre Kühnheit. Ihr Erspartes. Ihre Träume. Das reicht, um glücklich zu werden. Der Mensch lebt
nicht vom Brot allein. Aber eben auch vom Brot. Für viele bedeutet es schon Glück, wenn bis zum Ende des Monats und im Rentenalter noch genügend im Geldbeutel ist.

„Nur mit euch!“ So lautet das Motto der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit 2018 in Berlin. „Nur mit euch“. Keiner wird in diesem Land allein glücklich werden. Zum Glück haben wir auch keine Alleinherrschaft. Sondern mit der Demokratie haben wir eine Staatsform, die uns im-mer wieder daran erinnert: Es geht „nur mit euch“. Die Demokratie mutet uns einander zu. Von der Mitte bis zu ihren Extremen. Ja, und manchmal ist es schwer zu ertragen, was andere von sich geben. Aber das muss ich aushalten können. Das ist die Zumutung der Freiheit. Und: die Freiheit im Denken und Glauben und Reden habe ich nicht exklusiv. Es sind Grundrechte. Auch für jene, die die Freiheit unseres Landes anzieht über Meere und Grenzen hinweg. Warum soll ich ihnen nicht zu gestehen, was mir geschenkt ist. Dass ich Bürger dieses freien Landes bin, ist nicht mein Verdienst. Ich habe nichts zu meiner Geburt dazu getan.
Gerade deshalb darf mir die Not eines Menschen niemals gleichgültig sein. Ich darf mir nicht selbst genug sein. Die Welt ist doch längst ein Dorf geworden. Und was ich tue, betrifft immer auch die anderen. Darum: „Nur mit euch!“ Nicht allein. Und nicht gegeneinander. In den Oberst-dorfer Bergen kann ich das lernen.

Bis zum Sonntag beim Outdoor-Festival „Zämed duss“. Auf hochdeutsch: „Gemeinsam draußen.“ „Zämed duss!“ Das Motto verbindet alle Naturliebhaber, egal wie sie sich fortbewegen. Auf zwei Beinen oder zwei Rädern. Wir sind gemeinsam draußen. Und damit es keinen Stress gibt, braucht es gegenseitigen Respekt. Vor Mensch und Fauna und Flora. Ich verlasse einen markierten Weg nicht und laufe querfeldein. Damit schütze ich Pflanzen und Tiere. Erst recht, wenn ich meinen Müll wieder mit ins Tal nehme. Ich kann durchaus den Menschen grüßen, dem ich begegne. Schadet nie. Statt zu motzen, dass wieder ein Wanderer im Weg ist, könnte ich mich vom bike aus frühzeitig bemerkbar machen. Rufen. Und mich auch bedanken für den freien Weg. Statt als Wanderer darüber zu motzen, dass ein Mountainbiker meine Gemütsruhe stört, könnte ich von mir aus auf die Seite gehen. Denn für einen Radler ist nichts blöder, als wenn er den Schwung einer Abfahrt nicht für den Gegenhang nutzen kann. Es sei denn, er hat ein E-Bike. Dann ist´s eh wurscht.

„Nur mit euch!“ „Zämed duss!“ Gemeinschaft üben. Damit ich in Frieden leben kann. Und ich ver-liere nichts von meinem Glück, wenn ich ein wenig Verständnis für den anderen aufbringe. Wenn ich die eine oder andere Barriere in meinem Hirnkastl überwinde.

„Nur mit euch!“ „Zämed duss!“ Gemeinschaft üben. Ich glaube, Respekt voreinander kann ich ler-nen. Den andern anschauen. Nüchtern. Mit weniger Emotion. Mit weniger Empörung und dafür mit Argumenten. Und diese austauschen. Wie es Tausende bei „Deutschland spricht“ getan ha-ben. „So weit lagen wir gar nicht auseinander“ meinten viele Teilnehmer, die sich einem Ge-spräch mit einem Andersdenkenden gestellt haben. Sie sind nicht immer auf einen Nenner gekommen, was auch nicht das Ziel war. Aber sie haben gehört und verstanden, warum jemand so denkt, wie er denkt. Ein Anfang allemal. Der Anfang eines Wunders. Das ich Einheit nenne.

Einheit entsteht, wenn ich den andern anschaue. Freundlich. Als wär´s der liebe Gott persönlich. Der sagt nämlich: nur mit dir, Mensch, will ich die Welt aufhübschen. Nur mit dir. Du bist mein Spiegelbild. Das hieße: Gott könnte ein Schulkind in Niedersachsen sein. Oder eine Näherin in Bangladesch. Gott könnte eine indische Anwältin mit sieben Kindern sein. Und auch Herr Möller von der Sparkasse. Die Wirtin meiner Pension und der Gast aus der Pfalz. Ja, Gott hätte auch in Donald Trump sein Spiegelbild, was mich stutzig macht und worüber ich noch nachdenken muss. Gott hätte sein Spiegelbild in Claus-Peter, der Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet. In Herrn Kleinschmidt von nebenan hat Gott sein Spiegelbild, in der freundlichen Hilde von der Metzgerei nebenan, und in Oskar auch, der seinen Rausch drüben vorm Supermarkt ausschläft. In Peter, Doris, Günter und Petra hätte Gott sein Spiegelbild. In Ihnen und mir.

Ich finde das aufregend, jemanden so zu betrachten. Als Geschenk des Himmels. Ich weiß, das ist kühn, sicherlich auch naiv. Mutig ist es allemal. Ich weiß auch nicht, ob ich das immer kann. Ob ich immer alle Facetten eines Menschen liebenswert finde. Aber ich könnte es versuchen. Um des Friedens willen. Um meiner Träume willen. Um der Einheit willen. Unter uns Spiegelbildern. Und mit Gott, dem Freund allen Lebens.

Amen.

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