Zausiel

Zausiel

Der Engel Zausiel war schon als Kind immer sehr verträumt und tollpatschig und unordentlich. Sein selbstgenähtes Engelhemd war ein Stück Stoff mit einer Naht im Rücken; zwei ungleiche Bänder als Träger. Individuell. Zum Flötenunterricht kam er oft zu spät und beim Harfestimmen hat er nicht aufgepasst. Singen konnte er gar nicht, aber das mit Begeisterung. In der Weihnachtsbäckerei machte er die riesengrößte Kleckerei. Und seine Wolke war sowieso nie aufgeräumt. Meistens hing sie in Fetzen an irgendeinem Gipfel oder Wipfel. Selbst wenn Wind und Sonne die Wolke ordentlich aufgetürmt hatten – machte Zausiel einen satten Salto rückwärts und ließ sich in sein frischgeschütteltes Wolkenbett plumpsen, dass die Fetzen nur so flogen

Man konnte ihm aber nicht lange böse sein. Denn Zausiel war einfach ein fröhlicher Engel. Allen lachte er freundlich ins Gesicht. Und das steckte an. Nur ein bisschen ordentlicher hätte er eben sein sollen, und ein bisschen akkurater und konzentrierter.

Vielleicht lag es daran, dass der unstete Wind sein bester Freund war. Der durfte ihn täglich frisieren. Auch an stürmischen Tagen.

Gerade am schlimmsten Bad-Hair-Day im November wurde Zausiel zum lieben Gott persönlich gerufen. Da war ihm bang. Was konnte der Höchste von ihm wollen? War er doch zu ungestüm für den Himmel? Sollte er sich besser noch die Flügel bürsten bevor er vor Gottes Thron erschien? Dafür blieb keine Zeit. Den Herrn des Himmels und der Erde lässt man nicht warten.

Als Zausiel ankam, war der liebe Gott noch in einer Videokonferenz mit dem heiligen Nikolaus und dem Christkind. Zausiel musste warten. Und sah, wie Nikolaus ein ratloses Gesicht machte. „Es wird immer schwieriger den Menschen Freude zu machen. Äpfel, Nüsse und Marzipan können sie sich selber kaufen. Und bis ich komme, wollen sie schon keine Lebkuchen mehr sehen.“ „Ja“, pflichtete das Christkind bei. „Die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum werden immer größer und die Freude darüber immer kürzer und kleiner. Ich habe noch lange nicht alles beisammen, was auf den Wunschzetteln steht.“

Zausiel hielt den Atem an, als Gott selber sprach: „So ist das. Ich weiß es doch. Sie haben hohe Erwartungen an uns.“

„Nein, nein“, widersprach der heilige Nikolaus. „Die Erdenkinder stellen Ansprüche an uns.“

„Nun“, erwiderte der liebe Gott. „Die haben sie schon auch an sich selber. Und sie geben sich doch solche Mühe alles gut zu machen und schön zu haben.“

„O ja“, mischte sich das Christkind ein. „Grade an Weihnachten soll alles perfekt sein. Und wenn es von irgendetwas nicht das Größte und Beste und Schönste ist, dann ist alles andere auch nichts mehr. Solange die Augen größer sind als das Herz, sehen sie nicht was wirklich wichtig ist. Es gäbe so viel Grund zur Freude und zur Dankbarkeit.“

„Die werde ich ihnen schon beibringen“, polterte Knecht Ruprecht, der seine Kamera bisher ausgeschaltet hatte, weil er im Himmel nicht so gern gesehen ist. „Soll ich es ihnen einbläuen? Es wäre mir ein Vergnügen!“

Da erschrak Zausiel so sehr, dass alle hören konnten, wie ihm das Herz in die Hose plumpste.

„Da bist du ja“, rief der liebe Gott.

„Wie kann man nur so zerzaust aussehen!“ Der heilige Nikolaus hatte vergessen, sein Mikrofon stumm zu schalten.

Aber Gott grinste über das ganze Gesicht: „Dieses Jahr schicke ich dich auf die Erde.“ Das Erstaunen war allen ins Gesicht geschrieben. „Aber der kann doch nichts Richtiges“, meuterte Knecht Ruprecht. „Der kann sich nicht einmal die Schuhe binden. Wie soll er Geschenke verpacken?“

„Die Weihnachtsbotschaft kommt unverpackt. Und wenn sie Freude machen soll, muss sie jemand mit Freude verkünden. Zausiel ist der Richtige. Auf ihn werden die Menschen hören, weil er eben nicht perfekt ist, aber ein fröhliches Gotteskind. Von der Sorte könnte ich ein paar mehr gebrauchen. Auf Erden – wie im Himmel“, sagte Gott mit einem Augenzwinkern zu den Konferenzteilnehmern.

Zausiel war rot geworden. Zweimal war er durch die Schutzengelprüfung gefallen und jetzt durfte er die frohe Botschaft auf die Erde bringen. So viel Ehre. Er würde sein Bestes geben. „Mach einfach wie immer“, sagte Gott und schmunzelte. „Aber geh unbedingt nochmal zu deinem Frisör.“

Der kam auch gleich, wie gerufen. Zausiel breitete die Flügel aus. Er genoss das Säuseln im Gefieder. Dann flog er los. Er würde den Erdenkindern ein gutes Beispiel sein.

Daniela Ditz-Sievers
Zum 3.Advent 2022

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