Himmelsworte

Himmelsworte

Als Himmelsworte haben wir kurze geistliche Texte zusammengefasst, die wir für Zeitungen und Magazine erstellt haben. In eigenen Menüpunkten findet ihr ausgewählte Predigten zu speziellen Anlässen, „Perlchen“ mit kleinen Kostbarkeiten sowie mit dem „Wortwechsel“ eine poetische Form der Psalmeninterpretation.

Die haben doch einen Vogel
(anlässlich der Einweihung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze Oberstdorf 2017)

Die haben doch einen Vogel. Egal, an welcher Stelle ich bisher stand: ob oben am Anlauf, ob am Schanzentisch oder hier unten im Stadion. Immer wieder habe ich das gedacht. Die haben doch einen Vogel. Das ist keine Beleidigung, sondern staunende Hochachtung eines Fans vor allen, die es wagen, einem Vogel gleich mit dem Wind zu spielen; sich tragen zu lassen auf Weiten jenseits der 200m.

Die haben doch einen Vogel. Das haben nicht wenige angesichts der hohen Bausumme gedacht. Und das war sicher nicht als Kompliment für die Entscheidungsträger gedacht. Die haben doch einen Vogel, so viel Geld für eine Sportanlage auszugeben, die anders als am Schattenberg nur ein Mal im Jahr genutzt wird. Die haben doch einen Vogel. Und ich halte heute dagegen. Nein, haben sie nicht, die Sie über den Umbau der Heini-Klopfer-Skiflugschanze entschieden haben, egal an welcher Stelle. Sie haben keinen Vogel. Sie haben aber einen guten Grund. Und der hat sein Fundament in den Werten unserer Gesellschaft, auf die wir uns gern berufen. Von diesem Grund lese ich in der Bibel. Der Apostel Paulus sagt: Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Eine gute Erinnerung an dieser Schanze, die auch den liebevollen Beinamen „Zeigefinger Gottes“ trägt.

Es ist ein guter Grund, auf dem Sie entschieden haben, ob bewusst oder unbewusst. Denn dieser Jesus wusste, dass er seine Wurzeln im jüdischen Glauben hat. Und, dass dieser Glaube immer ein neues Gesicht braucht. Auch ein Paulus hat immer gesagt: egal, welche Generation auf diesem Grund baut: es bleibt der gleiche Grund.

So auch hier im Stillachtal. Beim Umbau der Schanzenanlage sind Teile der Fundamente der alten Holzschanze gefunden worden, wie sie Heini Klopfer und Willi Huber konstruiert haben. Freilich hat rein baulich die Schanze inzwischen ein anderes Fundament. Aber in Zeiten, in denen die Geschichtsvergessenheit immer größere Ausmaße annimmt, will ich an die Väter der Schanze erinnern. Wir dürfen den geschichtlichen Grund für den Bau nicht vergessen.

Bei den ersten olympischen Winterspielen nach dem 2. Weltkrieg waren deutsche Sportler nicht zugelassen. Die Sportler, die sich mit den besten messen wollen, mussten ausbaden, was politischer Ungeist in der ganzen Welt angerichtet hat. Für Sportler eine Katastrophe. Aber statt die Flügel hängen zu lassen, sind Heini Klopfer, Sepp Weiler und Toni Brutscher den Bau der Skiflugschanze angegangen. Und haben damit ein Zeichen gesetzt, das uns geradezu verpflichtet, diese Anlage zu erneuern. Damit Sport und Politik nicht vermischt werden. Damit sich die Besten der Welt messen können. Unabhängig von Herkunft oder Religion.

Klopfer, Weiler und Brutscher mahnen uns, unsere Grundwerte zu leben. Dazu gehört das Erinnern: natürlich an die Pionier-Troika, die heute vor 67 Jahren am 2. Februar 1950 die Schanze erstmals erprobten. Ich denke auch an den Norweger Lars Grini, der hier vor 50 Jahren in der Skiflugwoche 1967 als erster Mensch über 150m gepflogen ist. Ich denke an den Finnen Harri Olli, der den Schanzenrekord auf der für die WM 1973 erneuerten Schanze mit 222,5 m nun auf ewig sein eigen nennen kann.

Zum Grund, auf dem wir stehen, gehört Demut. Das meint, auch mal Nein zu sagen, wenn das Spiel mit dem Wind zur Lotterie wird und die Gesundheit der Springer gefährdet ist.

Zum Grund, auf dem wir stehen, gehört fair play. Keiner übervorteile den anderen mit unerlaubten Mitteln. Jeder Springer werde von uns fans zur Höchstleistung angefeuert.

Zum Grund, auf dem wir stehen, gehört das Mitgefühl mit den Vögeln, die gerade nicht abheben können. So wünschen wir allen Springern, die zur Zeit verletzt sind und allen voran Severin Freund gute Besserung, auf dass sie im nächsten Winter wieder durch die Lüfte schweben können.

Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Liebe Sportfamilie: Jeder cent ist es Wert, in diesen Grund zu investieren. Wie freudlos wäre unsere Welt, wenn wir uns nur noch in vergangenen Zeiten sonnten und Sportanlagen als Museen besuchten.

Mit der neuen Anlage setzt Oberstdorf Zeichen. Und präsentiert sich der großen Sportfamilie als verlässlicher Austragungsort für sportliche Großveranstaltungen. Fröhlich. Weltoffen. Und vor allem: Auf gutem Grund.

Adressbuch

Im vergangenen Urlaub ist es doch endlich passiert. Mein altes Adressbuch ist aus dem Leim gegangen. Jahrelang hatte es mich auf allen Reisen begleitet, damit auch jeder wichtige Mensch einen Urlaubsgruß von mir bekommt. Immer mehr Adressen hatten sich darin angesammelt, manche fein säuberlich abgeschrieben, manche nur als rückwärtig bekritzelte Einkaufszettel.

Manche standen von Anfang an darin, andere sind im Lauf der Jahre dazu gekommen: erst Schulfreund*innen und Freunde aus der Jugendarbeit, dann die ersten Arbeitskolleg*innen aus der Zeit meines Praxisjahres in Augsburg, dann natürlich die Heimat- und die Studienortanschriften von Kommiliton*innen, die Anschriften aus dem Adressbuch meines Mannes, nette Urlaubsbekanntschaften, und schließlich ein paar Menschen aus jeder Gemeinde, in der ich bisher gearbeitet habe.

So ein altes Adressbuch liest sich fast wie eine Biografie.

An jede Anschrift knüpfen sich Erinnerungen. Da ist der Pfarrer aus New York, in dessen Wohnung ich einige Tage unterkommen und das erstemal Bekanntschaft mit einem Kammerjäger machen durfte. Dem Kollegen habe ich danach leider doch nie geschrieben.

Bruder Mario, der junge Kapuzinermönch in Malta, mit dem wir durch die Kellergewölbe seines Klosters gestolpert sind und die Mumien lange verstorbener Brüder betrachtet haben. Er hat uns häufig zum gemeinsamen Kochen besucht, aber immer lieber gegessen als gekocht.

Sigrid aus der Vikariatsgemeinde hat mir den meditativen Tanz nahegebracht. Leider ist sie viel zu früh, aber getrost, an Krebs gestorben.

Uschi, wegen der ich im Kindergarten (das einzige Mal) in der Ecke stehen musste, aber die ich heute zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen kann. Stefan, mit dem ich früher gern gegangen wäre, der aber nur Augen für seine Gitarre hatte. Was der heute wohl macht? Er sei Arzt geworden, hab ich gehört.

Und mein Schulfreund Dieter, dessen über die Jahre verschiedene Adressen ganze Seiten füllen. Immer wieder musste ich seine Anschrift durchstreichen und ein paar Zeilen später wieder notieren. Gerade zieht er wieder um.

Um sie alle nicht aus meiner Loseblattsammlung zu verlieren, brauche ich ein neues Adressbuch. Und ich werde sie alle wieder hineinschreiben. Die, deren Anschriften ich sowieso auswendig weiß, und die unbekannt verzogenen. Die, denen ich noch nie geschrieben habe. Und die, die mir seit Jahren nicht geantwortet haben. Den einen, der sich kaum noch meldet, seit er mir Geld schuldet. Und die andere, mit der ich fast täglich digital Kontakt habe. Die, die schon gestorben sind. Ich will sie alle in meinem Buch haben, denn sie gehören zu mir, wie eng oder lose unsere Beziehung auch immer (geworden) ist. Ich möchte sie bei mir haben, und seien es nur ihre alten Adressen. So bleiben sie in meinen Gedanken und gehen nicht verloren. Ich erinnere mich an sie und unsere gemeinsame Zeit. So wie manch anderer vielleicht eine Kerze in der Kirche anzündet für die lieben Menschen, die der Tod ins Vergessen rücken will.

Die Bibel sagt: Gott hat auch eine Art Adressbuch. Und wir können sicher sein, bei ihm haben wir unsere erste und unsere letzte Adresse. Er wird keinen Menschen vergessen – nicht die Lebenden und nicht die Toten.  Oder wie es der Psalm 139 sagt: Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war und alle Tage waren in Dein Buch geschrieben. Das heißt: Keiner wird vergessen. Kein einziger Mensch – wie eng oder lose unsere Beziehung auch immer (geworden) ist. Es wird von uns Notiz genommen.

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Der Ton macht die Musik

Nur ein Hauch. Ein wenig Atem. Mit noch weniger Stimme. Und großer Wirkung!

Ein besonderer Moment. Mein Moment in der alten Klosterkirche von Thoronet in Südfrankreich. Mein Hauch, mein Atem, meine Stimme finden Resonanz. Schlagen Wellen. Klangwellen. Sie schwingen sich zu einer großen Woge auf, die ins weite Kirchenschiff hinein schwappt. Bis in den hintersten Winkel. Das alte Gemäuer wird zum Resonanzkörper. Es gibt mir meinen Ton zurück. Er hallt in mir wieder. Berührt mich. Bringt mich in Schwingung.

Dieser eine Ton, den ich dem Raum gebe, ist kein Echo, das nur undeutlich nachplappert. Dieser eine Ton spielt mit mir und dem Raum. Nimmt alles in sich hinein. Für einen Moment bin ich nicht mehr ich selbst. Ich bin selber Klang. Aufgegangen in etwas Großem. Unbeschreiblich. Schön.

Der Volksmund sagt: „Der Ton macht die Musik“. Der Ton, der mich berührt. Egal ob das in einer alten Klosterkirche ist. Der Anfang von Beethovens 5. Symphonie. Oder ein Bachchoral.

Egal, ob ich „An der schönen blauen Donau“ das Tanzbein schwingen möchte, mit Reinhard Mey „Über den Wolken“ schwebe oder „Tears in heaven“ vergieße.

Egal, ob ich „Born to be wild“ rocke, „Smoke on the water“ inhalliere oder mit Pink Floyds “Another brick in the wall” gegen Mauern zwischen Menschen rebelliere.

Der Ton macht die Musik. Er trifft mich. Er trifft auf meine Stimmung. Nimmt sie auf in etwas Großes. In diesem Moment fühle ich mich nicht allein. Fühle ich mich verstanden. Fühle ich mich lebendig. Selbst im Schmerz.

Der Ton macht die Musik. Es beglückt mich, wenn die Schwingung meines Tons auf dieselbe Wellenlänge bei einem anderen Menschen trifft. Wenn es nicht viel braucht, um sich zu verstehen. Nur ein Lächeln. Eine Umarmung. Ein Händedruck. Es gibt Menschen, die sehe ich eine halbe Ewigkeit nicht. Und wenn wir uns wiedersehen, ist alles so selbstverständlich wie gestern.

Der Ton macht die Musik. Fürchterlich sind solche Momente, in denen nichts schwingt. Die mich kalt lassen. Momente, in denen ich kein Gehör finde. Und auch kein Bemühen spüre, mein Reden oder Tun zu erfassen.
Laute Donnerwetterworte erzeugen lauten Widerspruch oder bringen zum Schweigen. Wellen schlagen hoch. Wogen lassen sich nicht glätten. Trennen statt Verbinden.

Ich glaube, Gott hat eine andere Wellenlänge, mit der er mich berühren will. Die Bibel erzählt, dass Gott nicht im gewaltigen Erdbeben kommt. Sondern in einem stillen, sanften Sausen. Behutsam. Damit jeder Körper, jede Seele ins Schwingen kommt. In eine gute Stimmung. Und dann frei und unbefangen von sich sagen und singen kann. Die Worte, die ich sage. Die Töne, die ich erzeuge. Die Lieder, die ich singe. Sie seien Widerhall von Gottes Berührung.

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Rendezvous mit dem Mut

Ich finde dich ganz schön mutig, Gott. Wie du diese Welt geschaffen hast. Tiere, Pflanzen. Menschen. Ganz schön gut gelungen, so auf Anhieb. Es war doch dein erster Versuch? Ganz schön mutig. Dem Menschen sagen: jetzt mach mal. Auch wenn es nicht funktioniert. Du riskierst was!

Ich wünschte, ich wäre so mutig sein, wie du. Ich bin nicht mutig. Irgendwer hat mir schon in die Wiege die Angst mit hineingelegt. Sie hat mich immer begleitet seit ich klein bin. Das Licht im Flur mussten die Eltern brennen lassen, wenn sie abends fortgingen. In der Schule saß mir die Angst im Nacken, wenn der Herr Dr. D. die Lateinvokabeln abfragte. Auf dem Pausenhof machte die Angst mein Gesicht schamrot, wenn ich als Letzter in die Fußballmannschaft gewählt wurde. Brille und Mopsstatur sei Dank. Die Angst hängt an mir – über fünfzig Jahre. Wir könnten glatt Goldene Hochzeit feiern.

Ich will die Angst nicht feiern. Sie ist mir schon lange lästig. Sie steht mir immer im Weg. Sie klammert. Hält zurück. Will mich ganz. Sie ist häuslich. Liebt es traditionell. Wie es halt immer war. Bleib doch, sagt sie immer. Wie der Schuster bei seinen Leisten. Die Angst duldet keine Nebenbuhler. Jedem flirt gebietet sie Einhalt. Sie flüstert mir ins Ohr, was alles passieren könnte. Und schon lege ich den Prospekt vom Gleitschirmflug wieder weg. Zwickt mich mein Körper, führt mich die Angst auf dubiose Internetseiten. Es steht schlimm um mich, lerne ich. Und die Angst lacht sich schlapp.

Weißt du noch, wie du letzten Sommer früh an meiner Tür geklingelt hast? Ob ich Lust auf eine Radltour hätte, hast du gefragt. Du hast sie gehört, die Angst. Wie sie von hinten rief: „Wir wollten uns doch einen schönen Tag zu Hause machen. Der Garten müsste auch mal wieder gemacht werden. Wann machst du eigentlich die Steuer? Und überhaupt: das schaffst du nie. Du hast doch keine Kondition.“ Ihr Ton wurde verächtlich. „Mit den vielen Pfunden? Du? Du lieber Gott!“

Aber du, lieber Gott, bist einfach stehen geblieben. Langmütig. Geduldig. Hast es ausgehalten, als sich die Angst aufbäumte. „Ist das der Dank dafür, dass ich dich beschützt habe, dein Leben lang?“.  Ich sehe dich immer noch vor mir. Du hast gelächelt, als die Angst den größten Fehler ihres Lebens machte. Sie schrie, dass es mir von ihrem kalten Atem den Scheitel verzog: „Das wirst du bereuen. Wenn du gehst, dann brauchst du dich bei mir nicht mehr blicken lassen!“ Was für ein Angebot! Raus aus den vier Wänden. Frischer Wind um die Nase. Ein neuer Weg vor mir. Wie Aufregend.

Am Abend hast du mich nach Haus begleitet. Als ich zögerte, hast du mich mit einem „Geh!“ zur Tür gestupst. Mein Zittern und mein Zagen waren unbegründet. Der morgendliche Angstausbruch ein Sturm im Wasserglas. Dein Besuch aber war ein heilsamer Schrecken für unser Haus. Nichts ist mehr so, wie es war. Die Angst ist auch nicht mehr die, die sie mal war. Und ich auch nicht. Ich bin mutiger geworden. Die Angst auch. Sie vertraut mir. Sagt nicht mehr „Bleib!“, sondern „Geh mit Gott!“

Es fühlt sich gut an, mutig zu sein. Es ist aufregend, etwas zu riskieren. Es muss ja nicht alles beim ersten Mal klappen. Ich bin ja nicht der liebe Gott.

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Gott und der Klimawandel

Ich habe den lieben Gott gesehen. Als Gesprächspartner in einer Talkshow. Es geht um den Klimawandel und was der Mensch dagegen tun könne. Gott ist gern Einladung gefolgt. Schließlich hat er die Erde ja erfunden.

Die Freude hält nicht lange an. Gott sagt lange nichts. Hört nur zu. Wer Gott kennt, sieht ihm sein Unbehagen an. Die Kiefermuskulatur ist im Hochbetrieb. Geschlagene 45 Minuten ist Gott sprachlos. „Fassung bewahren“, sagt sich Gott. „Contenance“. Dann bricht es aus ihm heraus. Laut. Gott redet sich in Orkanstärke. Bläst den anderen ins Gesicht und ihre Worte wie laue Lüftchen aus dem Studio. Der liebe Gott hat keine Lust mehr, lieb zu sein.

Gott sagt, wie ihn die Diskussion anwidert, ob Benziner oder Diesel umweltschädlicher seien und ob Fahrverbote die richtige Lösung wären. Und ob es höhere Steuern auf Flugreisen braucht und eine Plastiksonderabgabe den Klimawandel stoppen könnte.

Gott sagt, dass ihm die Schülerinnen und Schüler gefallen. Und dass man sie ernst nehmen muss, wenn sie sich Sorgen um ihre Zukunft machen. Immerhin setzen sie sich in Bewegung. Gehen auf die Straße. Machen den Mund auf. Von wegen: die Kinder von heute können nur smartphone! „Ob es richtig ist, die Schule zu schwänzen, darüber kann man streiten“, sagt Gott. Man könnte ja das Fach „Klimawandel“ erfinden und schon wäre das Problem gelöst.

Spät am Abend, es war bereits kurz vor zwölf, ist Gott klar: Wenn die Menschen nicht werden wie die Kinder, dann wird das nichts mit dem Klimawandel. Die Menschen sollen nicht betrauern, was sie verlieren könnten. Nein! Sie sollen leben wie die Kinder, als hätten sie das ganze Leben noch vor sich. Staunen wie die Kinder sollen die Menschen, jedoch nicht über die zig Kilos Plastikmüll im Walkadaver. Spielen und toben sollen sie, ohne Mundschutz vor dem Smog oder Angst auf eine Mine zu treten.

Kurz vor zwölf ist Gott klar: Es muss ein Klimawandel her. Wie sein Sohn ihn mit einem immer noch treffenden Slogan angeregt hat: „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.“ Ach, denkt Gott, wenn die Menschen das doch nur verstehen würden. Wenn sie festhalten an ihrem Lebensstil, dann werden sie bald alles verlieren. Aber ihre Nachkommen können alles gewinnen, wenn sie jetzt ablassen. Aber, ich will die Menschen nicht mehr verfluchen, denkt Gott. Das hatte schon zu Noahs Zeiten zu nichts geführt.

Kurz vor zwölf beschließt Gott, es besser zu machen: Ich will mit frischem Wind für den Klimawandel sorgen. Die Menschen antreiben. Rückenwind sein für jeden, der anfängt anders zu leben. Und allen Bedenkenträgern hebe ich die Last von den Schultern. Ideen mache ich groß. Mutig machen will ich, wer verzagt ist. Und den Zaudernden mache ich Beine. Einen langen Atem will ich den Menschen geben und Geduld. Denn frischer Wind in Kopf und Herz ist zwar das beste Mittel gegen Fluten und Dürre, gegen Überfluss und Hunger. Er bringt nicht den schnellen Erfolg. Aber Leben für die, die noch geboren werden.

Kurz vor Zwölf ist der liebe Gott wieder in seinem Element. Er gibt alles für den Klimawandel auf seiner Erde. Wenn der gelingt, wäre das ein Wunder. Aber wer, wenn nicht Gott, könnte es vollbringen.

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„Aloha from Hell“

Ein Gruß aus der Hölle. Auf facebook. Gepostet von einer, der es wirklich dreckig geht. Unter ihr Bild schreibt sie: „Bei mir ist es sehr still. Ich liege nun bald zwei Wochen mit Grippe flach. Danke an den lieben Menschen der mich letzte Woche zum Arzt gebracht hat. Denn ich war nicht mehr in der Lage dazu. So bin ich noch bis Ende kommender Woche krankgeschrieben. Das Bild ist kein ganz aktuelles das will keiner sehen.“

Einer wollte das Bild sehen. Hat nicht weggeschaut. Ist in die „Hölle“ gegangen. Hat die Kranke mehr oder weniger zum Arzt getragen. Weil die Hölle auf Dauer auch keine Lösung ist.

Er tut, was Reinhard Mey besingt:
Ich bring‘ dich durch die Nacht, ich bring‘ dich durch die rauhe See
Ich bring‘ dich durch die Nacht, ich bringe dich von Luv nach Lee
Ich bin dein Lotse, ich bin dein Mann, bin deine Schwester.
Lehn‘ dich an, ich bin der Freund, der mit dir wacht
Ich bring‘ dich durch die Nacht.

Ich danke Gott für jeden Menschen, der mit mir und für mich durch die Hölle geht. Der mit mir aushält. Nächte durchwacht. Zuhört und mit mir Stoßgebete zum Himmel schickt. Schweigt und hofft, dass noch nicht aller Tage Abend ist. Der aufsteht und mich trägt. Vielleicht sogar auf Händen.

Die Bibel erzählt, dass Jesus solch einen Menschen hatte. Josef von Arimathäa bringt Jesus durch die Nacht. Jesu Todesnacht. Josef nimmt Jesus vom Kreuz. Trägt ihn. Bettet ihn in einem nagelneuen Grab. Was Josef tut, ist ihm eine Herzensangelegenheit.
Johann Sebastian Bach lässt Josef von Arimathäa am Ende der Matthäuspassion davon singen: „Mache dich, mein Herze, rein. Ich will Jesum selbst begraben. Denn er soll nunmehr in mir für und für seine süße Ruhe haben.“

Mir gefällt dieser fromme Wunsch. Ich will ihn zu meiner Herzensangelegenheit machen. In mir soll dieser Jesus ruhen. Also der, der für andere immer durch die Hölle gegangen ist und ihnen den Himmel erschlossen hat. Der das sicher auch für mich tun würde. Das glaube ich. Der soll in mir ruhen, der am Ende seiner Todesnacht von sich sagt: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“

Für diesen Jesus will ich einstehen. Nachtlotse, Nachtwächter sein. Ausgestattet mit seinen Schlüsseln will ich die Nacht zum Tag machen. Die Hölle schließen und den Himmel eröffnen.

Ich wünsche mir, dass mindestens eine auf facebook postet: „Aloha from heaven“. Weil die Hölle geschlossen ist.

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Das letzte Wort

Der Streit ist heftig. Der Streit ist laut. Vasen fliegen keine. Aber Worte. Wütende. Vorwurfsvolle. Was den Disput ausgelöst hat, wissen sie schon gar nicht mehr. Irgendwann schreit sie: „Immer musst du das letzte Wort behalten“. Sie schimpft aus Erfahrung. Und behält recht. Denn ihr Gatte antwortet: „Ich wusste ja nicht, dass du nichts mehr sagen willst.“

Eigentlich ist es zum Lachen, was er seiner Frau trocken erwidert. Wer weiß schon, ob denn wirklich alles gesagt ist. Solange ich lebe, hoffe ich, dass das letzte Wort nur das vorletzte ist. Dass sich ein Streit wieder beruhigt. Weil auch die Versöhnung köstlich ist. Weil das Gefühl schön ist, wenn das Herz wieder warm wird und der Mut groß in mir. Das ist schön. Ich nenne das Auferstehung. Solange ich lebe.

Und wenn einer stirbt? Wie halte ich das dann mit der Auferstehung? Das letzte Wort des Abschieds bleibt. Es ist wie eingebrannt auf der meiner Seele. Es gibt kein weiteres, dass er ergänzt, dass es aufhebt. Der Tod macht das unmöglich. Er schneidet das Wort ab. Er hat das letzte Wort. Das ist eine große Gemeinheit. Weil es vielleicht noch etwas zu sagen gegeben hätte. Weil es so still wird. Von einer Witwe höre ich: „Heute Abend habe ich bemerkt, dass ich den ganzen Tag kein Wort geredet habe.“ Ich finde das traurig. Der Tod hat das letzte Wort. Danach zieht Stille ein. Ich will nicht in einer sprachlosen Welt leben, die verstummt, weil der Tod das letzte Wort für sich beansprucht. Ich will nicht, dass sich der Tod ins Fäustchen lacht und mir entgegen prustet: „Ich wusste ja nicht, dass du nichts mehr sagen willst.“ Das ist nicht witzig. Der Tod ist kein Witz.

Ich glaube an die Auferstehung. Ich stelle mich dem Tod entgegen. Auch wenn ich nicht weiß, wie das bei Jesus zugegangen ist. Auch weiß ich nicht, wie das sein wird, wenn ich gestorben bin. Ich will mit ihm streiten.  Solange, bis der Tod entnervt dem Leben entgegenruft: „Immer musst du das letzte Wort behalten“. Worauf der Auferstandene und sein Gefolge erwidern: „Wir wussten ja nicht, dass du nichts mehr sagen willst.“

Das ist Zukunftsmusik. Ich weiß. Aber ich stimme sie an, weil ich dem Tod nicht das letzte Wort gönne. Und stumm bleib, wo ein Wort nötig ist. Gegen den Hass. Gegen Gewalt. Gegen Vertreibung. Gegen Armut. Gegen die Erderwärmer.

Zukunftsmusik ist auch meine Hoffnung auf das Leben nach dem Ende meiner Tage. Entbunden aller Mühsal. Enthoben allen Pflichten. Erlöst aus allem Streit. Und ewig leben in Frieden. Die Bibel nennt das Schalom.

Für meine Hoffnung, meinen Glauben und meinen Traum drehe ich dem Tod das Wort im Munde um. Und singe an Ostern: „Das ist mir anzuschauen ein rechtes Freudenspiel; nun soll mir nicht mehr grauen vor allem, was mir will entnehmen meinen Mut zusamt dem edlen Gut, so mir durch Jesus Christ aus Lieb erworben ist.“

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Herzensfrühling

Der Frühling ist voll in seinem Element. Mit meinen Augen sammle ich die Farben ein. Die Sonne scheint. Und der Himmel ist klar. Ich träume mich hinaus in den Wald, der hellgrün trägt und süß riecht. Und für einen Moment wird mich das beruhigen.

Ich schließe die Augen und sehe vor mir den Frühling in Kiew, Charkiw oder Mariupol. Wie unwirklich wirkt das zarte Grün zwischen Schutt und Asche. Fast scheu brechen die Knospen auf. Als wollten sie erstmal schauen, ob sie sich aus ihrer Deckung hervorwagen dürfen? Als wollten sie zunächst fragen, ob das nicht zu gewagt ist, ja gar unzumutbar ist, jetzt neues Leben und Farbe in die Welt zu grünen, wo so viel Leben vernichtet wird. Muss man sich nicht schämen mit so viel Optimismus?

Ich öffne die Augen. Ich schäme mich nicht für meinen Traum. Für die Farben und das Licht. Für die Kraft und das Leben. Ich will davon singen und sagen, wenn schon nicht die Waffen schweigen. Doch was soll ich sagen? Was kann ich wagen. Ich will nicht einfach nur eine naive Gott-macht-alles-gut-Haltung dahinträllern. Wie soll man da überhaupt ein Lied singen, wie soll man da glauben an die Vernunft, an die Liebe, an eine Zukunft, die gemeinsam stattfindet?

Ich könnte singen wie Konstantin Wecker: „Ich singe, weil ich ein Lied hab. Nicht, weil es euch gefällt. Ich singe, weil ich ein Lied hab. Nicht, weil ihr´s bei mir bestellt.“ Ungefragt singen. Unerhört singen. Weil ich trotz Bomben einfach nicht aufhören will zu glauben, dass diese Welt für immer und ewig grau sein wird. Ungefragt singen. Unerhört singen. Weil ich glaube, dass „jede Mauer eine Lücke hat und jede Grenze irgendwo ein Tor. Weil jedes Ende auch ein Anfang ist und jeder Traum ein neuer Raum. Weil jeder Samen Blüten bringt und jeder Morgen auch ein Aufstand ist.“ (Susanne Niemeyer) Dem zarten Grün und den rosa Blüten singe ich zu, dass sie sich bitte nicht einschüchtern lassen sollen vom Grau. Und dass sie bitte gegen die Kälte der Eisheiligen und Scheinheiligen anwachsen.

Manchmal ist mein Lied mutig. Und manchmal so verzagt. Wenn ich einen Mann im Fernsehen sehe, der weint. Er sieht die gleichen Leichen wie ich. Nur in echt. Was soll ich da noch sagen? Dann kann ich nur noch auf ein Versprechen setzen, dass ich in der Bibel lese: „Der Geist Gottes steht uns da bei, wo wir selbst unfähig sind. Wir wissen ja nicht einmal, was wir beten sollen. Der Geist selbst tritt mit Flehen und Seufzen für uns ein. Dies geschieht in einer Weise, die nicht in Worte zu fassen ist.“ (Römerbrief 8, 26)

Ich stelle mir vor, dieser Geist atmet mich. Und wenn es gut geht, haucht er ein „Ach“ aus mir heraus. Und trägt es weiter. Dieses Ach ist eines der tiefsten Worte, die es gibt. Mehr braucht es nicht, damit mein Seufzen hörbar wird. Mehr braucht es nicht um mich zu verbinden mit denen, deren Leid mich erbarmt. Mehr braucht es nicht, um den Traum von einem Herzensfrühling von rosa bis grün wachzuhalten.

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Kluftinger entdeckt das Paradies

Man müsste öfter mal verreisen. Das ist Kluftingers Philosophie. Der liebenswert knorrige, manchmal chaotische Kommissar aus Altusried entdeckt am überbordenden Frühstücksbuffet eines Hotels das Paradies. Ausgerechnet er. Sonst kennen seine Magennerven nur Kasspatzn und Zwetschgendatschi mit Sahne. Und nun die Fülle schlechthin. Das Paradies?!

Volker Klüpfl und Michael Kobr beschreiben in ihrem Allgäu-Krimi „Rauhnacht“ Kluftingers Schlacht am „Frühstückundmittagzusammenbüffet“, wie Kluftinger es nennt. Ein Teller genügt beileibe nicht. Auch der zweite Teller ist schon voll. Aber Marmelade hat Kluftinger noch nicht. Die kleinen Glasschälchen kann er schon längst nicht mehr sehen, so voll sind die Teller. Und so erfindet Kluftinger kurzerhand die „Memmel“. Eine ausgehölte Semmel, die er mit Marmelade füllt. Den Semmelteig wirft er in kleinen Kügelchen ins heiße Wasser eines Wärmebehälters. Sie werden Kluftingers Intimfeind Langhammer später als raffiniert zubereitete Semmelknödel munden.

Ja, so muss es im Paradies zugehen. Der Himmel auf Erden. Das Leben in Fülle. Die Bitte des Psalmbeters bekommt durch Kluftingers Entdeckungsreise in die Fülle eines Frühstücksbuffets eine ganz neue, leibhaftige Deutung: „Fülle uns frühe mit deiner Gnade, Gott.“ Fülle uns mit der ganzen Vielfalt, die du uns auf einem Büffet präsentierst. Uns gehen die Augen über an der Schönheit und Pracht deiner Schöpfung, deiner Zuwendung. Der Gaumen freue sich an der Süße des Lebens. Ach Gott, fülle unsere beiden Hände so mit deiner Gnade, dass wir sie gerade noch tragen, ertragen können. So beten unsere Glaubensväter und –mütter.

Kluftinger kommt, privat wie beruflich eigentlich eher konservativ daher. In Wahrheit ist er jedoch ein authentischer Vertreter eines modernen Zeitgeistes. Leben als gäbe es kein Morgen. Das Leben voll auskosten – über die Maßen. Dass ist der Himmel. Doch jetzt merken wir: Maßlosigkeit hat ihren Preis. Das Geld verliert seinen Wert. Von den Bodenschätzen unserer Erde leben wir auf Pump. Die klimabedingten Wetterextreme zerstören Existenzen. Nicht umsonst gehört die Maßlosigkeit seit alters her zu den sieben Todsünden. Sie ist weder sozial noch nachhaltig.

Der einzige, der nachhaltig maßlos ist, ist Gott. Der hat die Fülle geschaffen. Gott lässt sich durch die menschliche Maßlosigkeit nichts von seinem himmlischen Wucher nehmen. Ich muss nur die Augen aufmachen, dann sehe ich die Wunder der Schöpfung. Dann staune ich über jede Menge Leben. Dann halte ich an der Hoffnung für meine Welt fest, weil es allen schlechten Nachrichten zum Trotz so viele Menschen guten Willens gibt. Auch in unserm Tal.

Vielleicht sollten wir doch öfter mal verreisen. Eine Reise aus uns heraus. Und dann wach werden für das, was ich wirklich lebensnot-wendend brauchen. Wach werden für die Fülle des Lebens, die Gott schenkt. Ach: schon längst geschenkt hat. Nicht nur am Morgen. Sondern jeden Tag.

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Ich liebe das Ende der Saison

Die Zeichen stehen auf Abgesang. Die Berge werden kahler. Bunt war gestern. Noch ein wenig goldener Oktober – dann war´s das mit der Sommersaison. Es wird still im Tal.

Wenn sich jetzt zwei begegnen, ist das fast eine Verschwörung, und Wildfremde erzähl‘n dir ihren ganzen Lebenslauf. Im Flüsterton, denn Sprechen wäre jetzt schon eine Störung. Jetzt hat nur noch die Post und morgens der Schuhladen auf. Ich liebe das Ende der Saison!

Reinhard Mey besingt so die Nebensaison. Kollektive Ruhetage. In den wenigen Lokalen, die dann noch offen haben, kämpfen die Einheimischen um einen Platz. Privatperson bekommen schwerlich einen Handwerker in dieser Zeit. Denn wer als Vermieter etwas auf sich hält, renoviert jetzt seinen Laden. Damit die Gäste gern wiederkommen. Und wer ausfliegt, hört auf Mallorca oder in Kroatien mit Sicherheit den Walser Zungenschlag.

Ich gehöre zu den Menschen, die Gefallen finden an der Ruhezeit. Sonst unterm Jahr mag ich oft und gern Menschen um mich. Tauche gern in die Masse ein. Habe gern Zeit fürs Schwätzchen zwischendurch und die ernsthafte Stunde unter vier Augen. Aber alles hat seine Zeit. Die Zeit ohne Animation und mit dem halben Sortiment hat was. Um glücklich zu sein brauche ich, was der alte Liedpoet Reinhard Mey dichtet:

Du brauchst im Leben wirklich nur, um keine Not zu leiden, einen Freund, ein Stück Brot, ein Töpfchen Schmalz und ein Glas Wein!
Und all das gibt es hier noch allemal an allen Tagen,
Und wenn du klug bist, werden Leib und Seele satt davon. Ich liebe das Ende der Saison!

Mein Herz geht jetzt nicht mehr hinaus und sucht Freud. Das Herz schaut eher nach innen. Mir helfen dazu die nach innen gerichteten Feste des Kirchenjahres. Am Montag der Reformationstag. Ich verorte mich wieder auf dem Grund meines Glaubens: Jesus Christus. Und ich schaue, aus welchen Quellen ich schöpfe, damit ich in Sturm- und Drangzeiten klar, zuversichtlich und besonnen bin. Es folgen Allerheiligen, Buß- und Bettag, Volkstrauertag. Ewigkeitssonntag. Es kann gut sein, dass mir an einem dieser Tage eine Träne übers Gesicht kullert. Wenn ich an Menschen denke, die ich heuer lassen musste. Wenn ich daran denke, wieviel Leid es in dieser Welt gibt und wozu der Mensch fähig ist. Im Guten wie im Schlechten. Wenn ich auch an meine eigene Schuld, mein eigenes Versagen denke. An finstere Gedanken und Worte, die ich nicht hätte sagen sollen. Aber es ist gut, dass ich dafür Zeit habe. Zeit, in der ich meine Tränen und Schmerzen dann auch hinter mir lasse. In der ich danach Ausschau halte, wo mir der in der Bibel verheißene neue Himmel und die neue Erde begegnen. Wo ich Gott finde – in Menschengestalt.

Ich liebe das Ende der Saison. Zum Instandsetzen, was unansehnlich geworden ist. Zeit zum Renovieren. Im Haus. In meinem Seelenhaus. Dafür braucht es nicht viel: Einen Freund, ein Stück Brot, ein Töpfchen Schmalz und ein Glas Wein! Und wenn ich klug bin, werden Leib und Seele satt davon. Und wenn es gut geht, brauche ich am Ende meiner Wege nur noch Ruhe. Nicht mal mehr die Zeit. Die Ewigkeit genügt.

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Blickkontakt

Ich bin Brillenträger. Gefühlt seit meiner Geburt. Seit neuestem mit Gleitsicht. Beim Sport mit Kontaktlinsen. Damit kann ich leben. Nur frage ich mich, wieso die Linsen so heißen. Was den Kontakt angeht, sind sie zickig. Sie weigern sich regelmäßig, geschmeidig Platz im Auge zu nehmen. Und wenn sie erstmal drin sind, kratzen sie. Und raus wollen sie auch nimmer. Mit Linsen im Auge habe ich auch nicht mehr zwischenmenschlichen Kontakt als sonst.
Vielleicht ist es auch vollkommen egal, welche Sehhilfe ich trage. Hauptsache, ich sehe scharf. Sehe klar. So wie Gott.

Eine Frau in der Bibel betet: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ Dieses Gebet ist das biblische Leitwort für das Jahr 2023. Hagar heißt die betende Frau. Magd von Abraham. Mutter eines gemeinsamen Sohnes. Ismael sein Name. Die Dreiecksbeziehung mit Abraham und seiner Frau Sara geht nicht gut. Sarah ist eifersüchtig. Hagar flieht. Sie kehrt nur zurück, weil ein Engel Großes verspricht: Zukunft für ihr Kind und ihre Kindeskinder. Sarahs Eifersucht aber ist Gift. „Hagar muss gehen“, fordert Sarah. Und Hagar geht. Endgültig! Gegen Abrahams Willen. Aber mit Gottes Versprechen: Hagar wird es an nichts fehlen.
Als auf der Flucht der Proviant ausgeht, fehlt es an allem: an Essen, an Trinken, an Kraft, an Zuversicht. Der Knabe droht zu sterben. Und wieder ist es ein Engel, der Hagar aufhilft, ihr die Augen öffnet. Sie sieht wie auf ihrer ersten Flucht einen Wasserbrunnen. Damals nannte sie den Ort „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht.“

Gott sucht den Blickkontakt mit Hagar. Er sieht sie an. Gibt ihr Ansehen. Gibt der Frau Wasser, was die erste Not lindert. Und die Seele füttert Gott mit der Verheißung, dass ihr Leben gut weitergeht.

Weihnachten sucht Gott den Blickkontakt mit dir und mir und der ganzen Welt. Ich linse in die Krippe. Suche den Blickkontakt mit dem Menschenkind Jesus und denke: Sieh mal einer an! Da liegt ja die Verheißung: Ein gutes Leben in Zukunft ist möglich, wenn wir Menschenkinder einander Ansehen schenken. Und allem, was klein ist. Allem, was wachsen will.

Ich weiß: Kinder sind manchmal anstrengend. Auch Jesus war das. Aber Kinder eröffnen eben auch eine neue Welt. Auch Jesus. Auf einmal wird durch ein Kind aus dem Alltag ein Abenteuer. Aus Sand eine Burg. Aus Farbe ein Bild. Aus einer Pfütze ein Ozean. Aus Plänen Überraschungen. Aus Gewohnheit Leben. Aus einem Geht-Nicht ein mutiger Aufschwung. Aus der Niederlage eine Auferstehung.

Ich glaube: alles ist möglich, wenn ich die Menschenkinder ansehe, die mir am Herzen liegen und die mir Sorgen bereiten. Um mich herum und bis ans andere Ende der Welt.

Ich glaube: alles ist möglich, wenn ich mein Auge schärfe für die offensichtliche Not und die verborgene. Die sich nicht rührt und die keine Stimme hat. Die kein Obdach findet in Herz und Haus.

Alles ist möglich im Neuen Jahr 2023. Zeit für jede Menge ZuverSICHT.

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Als ich einmal Gott traf…

… war sie vollkommen verschwitzt. Kein Wunder, dachte ich. Fahrrad ohne Gangschaltung. In dem Alter. Ein E-Bike wäre eine prima Alternative. Gott läuft das Wasser aus den Haaren. Perlen stehen ihr auf dem Gesicht. Unter den Armen bilden sich dunkle Flecken. Nicht schön anzusehen.

Gott ist 81. Sigrid ist ihr Vorname. Gott trägt ihre Post immer noch selbst aus. Wozu andere beschäftigen, wen sie es selbst erledigen kann?! Bei jedem Wetter. Gott ist immer unterwegs. Eindrucksvoll.

Als ich Gott traf, war es heiß. Das sehe ich Gott auch an. Gott ist so angestrengt, dass sie mich gar nicht bemerkt, als sie an mir vorbei radelt. Mein „Grüß Gott“ läuft ins Leere. Das hätte ich von Gott nicht gedacht. Von mir kenne ich das ja. Wenn ich mich auf etwas konzentriere, dann wird mein Blick eng. Ich dachte, Gott ist weitsichtig. Aber irgendeine Schwäche hat wohl jeder. Anscheinend sogar Gott.

Gott schwitzte also an mir vorbei. Und ich ging meines Weges. Ich hatte Gott schnell vergessen. Bis ich sie eine halbe Stunde später wieder sehe. An einem anderen Ort. 5 km entfernt. Wie hat Gott das gemacht? Ohne Gangschaltung? In dem Alter? Bei der Hitze!

Gott schwitzt. Und ich frage sie, wie sie das gemacht hat. Eben dort, jetzt hier. Ist ja fast schon, als wenn ich mit Gott Hase und Igel spiele. Gott schwitzt. Und strahlt übers ganze Gesicht. „Ich bin halt schnell“, sagt Gott. „Es gibt doch so viel zu tun! Da darf ich keine Zeit verlieren. Solange ich kann, schaffe ich!“

Respekt!

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