Emil Nolde: Meer mit Dampfer

Emil Nolde: Meer mit Dampfer

Hinführung

Ein Bild aus dem Bereich Landschaftskunst. Festgehalten ist die Natur mit Wasserfarben und Tusche auf Japanpapier. „Meer mit Dampfer“. Geschaffen von Emil Nolde.

Eigentlich Emil Hansen. Geboren am 7. August 1867 im Dorf Nolde, dessen Namen er später zu seinem macht. Nolde gehört zu den bedeutendsten deutschen Malern des Expressionismus. Sein Weg dahin war ein langer.

Begonnen hat Nolde mit detailgetreuen Zeichnungen seiner Umwelt. Das konnte der elterliche Hof genauso sein wie die Welt der Schweizer Bergbauern, die er in seinen Lehrlingsjahren im schweizerischen St. Gallen erkundete. Nolde fühlte sich in seinen frühen Künstlerjahren noch ganz den Konventionen verpflichtet. Das kann man selbst noch von den Bergpostkarten  sagen, die er mit einer Prise Humor anfertigte und 1896 im Selbstverlag herausgab. Von dieser gegenständlichen Malweise löst sich Nolde jedoch zusehends. Er unternimmt Reisen durch Europa und kommt mit neuen künstlerischen Ansätzen in Kontakt. Dem Gedankengut der vielerorts entstehenden Künstlerkolonien fühlt er sich verbunden. Dort sehnt man sich nach einer gewissen Ursprünglichkeit. Fern der lauten und hektischen Stadt suchen Künstler nach anderen Werten. Und finden sie z.B. in der freien und unberührten Natur.

Prägend für Noldes weiteren künstlerischen Verlauf ist eine Reise nach Neu Guinea kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nolde lässt sich inspirieren von den sog. Urmenschen und ihrem Leben als Teil der Natur. Sie scheinen in der Natur aufzugehen. Fortan will Nolde dieses Lebensgefühl in seine Bilder einfließen lassen. Darum verabschiedet er sich von allem Gegenständlichen.  Nicht mehr die Form ist bestimmend in den Bildern. Die Farbe ersetzt die Form. Für Emil Nolde war Farbe Kraft und Leben. Starke Harmonien aus Farben sind für ihn das Wichtigste in seinem künstlerischen Schaffen.

Sein Leben war aber nicht nur bunt. Es war auch braun. Offen trägt er seine Sympathie für die Nationalsozialisten zu Tage. Nolde wurde 1934 Mitglied der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig. Nolde war auch antisemitisch eingestellt. Er kämpfte gegen jüdische Kunsthändler wie Paul Cassirer und Maler wie Max Liebermann.

Zu Beginn der Zeit des Nationalsozialismus schätzten Teile der Nazi-Führung seine Kunst und seine kunstpolitische Einstellung. 1933 veranstaltete der NS-Studentenbund eine Ausstellung mit seinen Werken. Auch Joseph Goebbels gehörte neben Albert Speer zu den Förderern von Nolde.

Trotzdem wurde Nolde von einem Teil der NS-Führung verfolgt. Nolde war daher sehr überrascht, dass seine Werke von den Nationalsozialisten als Entartete Kunst diffamiert wurden. Noldes Gemälde Leben Christi bildete den Mittelpunkt der nationalsozialistischen Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ im Jahr 1937. Noch am 2. Juli 1938 machte Nolde in einem Schreiben an Joseph Goebbels geltend, dass er sich als fast einzigster deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst sähe. Die Verfolgung Noldes ging aber weiter. Einige Zeit später wurden über tausend Bilder Noldes beschlagnahmt, zum Teil verkauft oder zerstört. Es folgten Ausstellungs- und Berufsverbot.

Während des Malverbots zwischen 1938 und 1945 malte Nolde im Verborgenen die sogenannten „Ungemalten Bildern“, also Bilder, die es offiziell nicht gab. Er malt Bergmotive und Naturlandschaften. Die in dieser Zeit entstandenen gut 1 300 Aquarelle und Ölbilder sind Traum- und Sehnsuchtsbilder.

Sein Refugium war seit 1926 die Warft Seebüll nahe der dänischen Grenze. Der Name der Seebüll bedeutet soviel wie Siedlung an der See. Und die ist künstlich erhöht wie eine Hallig im Wattenmeer, um vor Hochwasser geschützt zu sein. Das bedeutet der Name Warft. Also ein sicherer Ort in stürmischen Zeiten. Mit einem guten Ausblick über Meer und Land.

Unser Bild „Meer mit Dampfer“ entstand zwischen 1945 und 1948 in einer schweren Lebensphase. Seine geliebte Ehefrau Ada starb 1946. Zwei Jahre später heiratete er Jolanthe Erdmann. Bis 1951 malte er noch über 100 Gemälde und bis 1956 viele Aquarelle. Emil Nolde starb am 13. April 1956 in Seebüll, wo er neben seiner Ada im von beiden geliebten Garten seine letzte Ruhestätte fand. Soviel zum Künstler.

„Meer mit Dampfer“

Ein Tag neigt sich seinem Ende. Das Aquarell fängt in seinen konträren Farben die Abendstimmung über dem Meer ein. Unser Bild gehört in eine Reihe kleinformatiger Aquarelle. Nolde hat in ihnen das Motiv der Sonne variiert, wie sie über dem Meer untergeht.

Farbfelder fließen ineinander. Unten tiefes Violett zwischen Brombeere und Pink. In der rechten Bildhälfte ist das Wasser von einem goldenen Sonnenuntergang in Brand gesetzt. Links wird es Nacht oder nachtdunkel durch drohende Gewitterwolken. Vom den Schornsteinen des Dampfers geht grünlicher Dampf aus. Oder ist es der Dampf aus dem Schormstein der Dampfers, der zurückbleibt? Auf das Schiff zulaufend oder von ihm ausgehend und das Schiff umwabernde ockerfarbene Flächen.

Ein Übergang von Meer, Sonne und Himmel ist nicht mehr zu erkennen. Die untergehende Sonne scheint beinahe hinter dem Bild zu liegen, von hinten zu glühen. Wenn der Dampfer nicht wäre, wüssten wir als Betrachtende nicht, was Nolde hier dargestellt hat. Wir könnten es vielleicht mit unserer Fantasie und durch unsere Erinnerung an Sonnenuntergänge am Meer erahnen. Den Dampfer hat Nolde erst nachträglich mit der Tuschfeder ins Bild gesetzt. Dadurch bekommen auch wir eine räumliche Orientierung: zwischen Oben und Unten. Und durch die Fahrtrichtung des Dampfers von rechts nach links.

Das Schiff scheint sich in einem schwebenden Zustand zu befinden, welcher häufig in Noldes Bildern zu finden ist. Greifbar nahe scheint das Schiff zu sein, gleichzeitig aber durch die Transparenz der Aquarellfarben entrückt.

Nolde besinnt sich an eine frühere Fahrt auf einem kleinen Dampfer: „Dieser Tag ist mir so stark in Erinnerung geblieben, dass jahrelang nachher ich danach meine Meerbilder malte. Falls ein Sturzsee mich über Bord gespült und ich im Element zwischen Leben und Tod hätte kämpfen müssen – ob ich dann wohl das Meer noch mächtiger würde malen können?“
Zeit seines Lebens folgt Nolde der Natur. Das Meer nimmt in seinem Werk einen wichtigen Platz ein. Schon 1901 malt er in Kopenhagen seine ersten in Grau gehaltenen Meeresimpressionen, die er im fast jährlichen Rhythmus und auch auf seiner bedeutenen Südseereise 1913/14 immer wieder abbildet. Die Bildelemente Meer, Himmel und Licht stehen bei Nolde für die Vorstellung von Freiheit, Weite und ein Gefühl für Unendlichkeit.

Trotz seiner fragwürdigen politischen Ansichten war Emil Nolde ein religiöser Mensch. Dafür stehen nicht nur seine Bilder mit biblischem Bezug. Man muss den Namen Gottes nicht nennen, um einem Menschen abzuspüren, wonach er sich sehnt. Die Weite von Meer und Himmel. Das Licht, das die Dunkelheit verglühen lässt. Die Sehnsucht nach Geborgenheit, irgendwo in dieser Weite. Ausgeliefert den Gewalten der Natur, die der kleine Mensch nicht beeinflussen oder gar bändigen könnte. Der verhältnismäßig kleine Dampfer steht dafür. In der Romantik wurde das Schiff zu einem zentralen Motiv für die Hoffnung des Menschen und seine Reise durch das Leben. Vielleicht lässt sich das Schiff auch bei Nolde so deuten.

Dieses Hoffnungsschiff ist für Nolde biografisch verankert. Unter dem Dampfer, also in der Linie des Ankers, sind im Wasser grafische Linienkürzel zu erkennen. Näher besehen entpuppen sich diese Kürzel als A und E, die Initialen von Emild Nolde und seiner Frau Ada. Eine Referenz an die gemeinsame Lebensbahn des Ehepaars Emil und Ada. Verbunden mit der Frage: wo geht denn die Reise hin für Ada nach dem Tod, für Emil als Witwer. Worin besteht die Hoffnung? Für Ada, dass sie der Sonne am Horizont entgegen fährt und diese Sonne auch jenseits des Horizonts scheint. Für Emil, dass er sich mit seinen Farben ausdrücken kann, wenn die Worte fehlen.

Für viele Menschen verbindet sich mit dem Besteigen eines Schiffes Hoffnung. Wo geht die Reise hin?

Für die Sommerfrischler von Dagebüll zu den nordfriesischen Inseln Föhr oder Amrum, um die steife Brise zu genießen und das Meer für vergnügliches Baden und Plantschen zu nutzen. Wenn nicht gerade Ebbe ist.

Für manchen Fischer, dass es ein guter Fang wird.

Für Menschen auf der Flucht. Zu Noldes Lebzeiten führte der Weg in Freiheit und Sicherheit über den großen Teich in die neue Welt. Heute sind es Menschen aus Syrien, die übers Mittelmeer kommen, ihr Leben riskieren in einer Nussschale bei Nacht und Nebel und Kälte.

Für manchen, der wie Ada am Ende seiner Tage vom Reich der Lebenden ins Reich der Toten reist. In der griechischen Mythologie gilt es den Fluss Styx zu überqueren, der die Welt der Lebenden vom Totenreich, dem Hades trennt. Die Gestalt des Fährmanns führt den Toten über den Fluss.

Für manch einen ist ein anderer Mensch wie ein Schiff mit einem seekundigen Kapitän. Wenn einer nicht mehr weiter weiß, keinen festen Boden mehr unter den Füßen hat: dann ist es gut, wenn andere da sind, die die Hoffnung stärken, dass eines Tages wieder Land in Sicht ist. Dass die Überfahrt durch ein nicht zu zähmendes Meer an Sorgen und Problemen ein Ende hat. In einem sicheren Hafen.

Das ist ihre Hoffnung. Die sie eint mit denen, den Gewalten des Meeres machtlos ausgesetzt sind: Noah, Jona, Petrus, Paulus. Wer Hoffnung hat, lebt. Weil Hoffnung auf die Zukunft ausgerichtet ist. Wer hofft, erwartet etwas fürs Leben. Die Bibel gibt einen guten Rat für alle, die umtost werden von den Gewalten und nicht mehr Herr ihrer Lage sind. Bleib ruhig. Der Beter des 62. Psalms sagt es so:

Sei nur stille zu Gott, meine Seele;
denn er ist meine Hoffnung.
Hoffet auf ihn allezeit, liebe Leute,
schüttet euer Herz vor ihm aus;
Gott ist unsre Zuversicht.

Ein Gebet und ein Bild für den Aschermittwoch. Sieben Wochen Fahrt durch die Fastenzeit. Das Violett ist ihre Farbe. Zielgerichtet ist unsere Fahrt auf Ostern zu. Auch wenn es jetzt Abend ist. Es ist noch nicht aller Tage Abend. Die Sonne wird wieder und wieder aufgehen. Auch nach dem Karfreitag. Das ist meine Hoffnung.

Und davon will ich mit Ihnen singen. Mit einem Lied aus Emil Noldes deutsch-dänischer Heimat.

Sieh, da hebt die Sonne sich übers Meer (Gesangbuch der Nordkirche Nr. 629)

  1. Sieh, da hebt die Sonne sich übers Meer.
    Luft und Welle lodern rot um sie her,
    Licht, dem stummer Jubel entgegenschlägt,
    wenn es an der Küste der Welt anlegt.
  2. Atem will ich holen, so tief ich kann,
    will dem Schöpfer singen: Mein Tag bricht an!
    Dank dir, dass die Freude mir wiederkehrt,
    meiner Nacht und Sünde den Sieg verwehrt!
  3. Dank, dass du die Sonne mich fühlen lässt!
    Leib und Seele feiern ein Morgenfest.
    Wenn das Dunkel schwindet, das Seelenweh,
    sag ich’s neu: Dein Wille, mein Gott, gescheh!
  4. Lass mich denn einst ziehen mit letzter Fracht,
    lass hinaus mich segeln aufs Meer der Nacht:
    Du bist ja mein Vater, o Gott des Lichts,
    deine Hand entreißt mich dem Netz des Nichts.
  5. Sie, dann hebt die Sonne sich übers Meer
    und vertreibt auf immer, was schwarz und leer.
    O der Siegesjubel! Das Licht liegt hell
    auf des Lebens Küste, steht ewig still.

Vaterunser
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen
Gott sei mit dir,
wenn es Abend wird,
dass du dankbar zurückschauen kannst
auf die Last und die Lust
des vergangenen Tages
und gewiss sein kannst,
dass nichts vergeblich war.

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