Peder Severin Krøyer: Sommerabend am Skagener Südstrand

Peder Severin Krøyer: Sommerabend am Skagener Südstrand

Hinführung

Ich entführe euch heute in den hohen Norden. Wir schauen den Norden mit den Augen von Peder Severin Krøyer. 1851 wurde er im norwegischen Stavanger geboren. Krøyer war von Kindesbeinen an ein Malertalent. Besuchte früh die Königliche Dänische Kunstakademie in Kopenhagen. Zu Beginn seiner Karriere war ein viel gefragter Portraitmaler. Landschaften malte er naturalistisch. Das heißt: er malte, was er sah. Es brauchte Reisen nach Paris, nach Spanien und Italien, es brauchte die Begegnungen mit anderen Künstlern, bis er malte, was die Betrachtung der Natur in ihm auslöste. Die Stimmung seines Erlebens floss in den Pinselstrich. Peder Severin Krøyer wurde so zu einem der ersten führenden Impressionisten in Skandinavien.

Mit 31 Jahren kam Krøyer erstmals nach Skagen und war von dem Leben in dem kleinen Fischerort fasziniert.

1889 heiratete er die 16 Jahre jüngere Marie und ließ sich mit ihr zwei Jahre später endgültig in Skagen nieder.

Ein Kraftort für Künstler und Lebenskünstler. Peder und Marie schlossen sich der Künstlerkolonie der Skagen-Maler an. Sie vereinte die Sehnsucht nach Freiheit im Schaffen. Sie suchten nach neuen Motiven und fanden sie. Statt wogender Weizenfelder, lieblicher Seen und majestätischer Buchenwälder, rückten nun karge Heideflächen, Dünen und stürmische Strandszenen ins Blickfeld. Alle waren sie fasziniert vom reinen Licht des Nordens, dem rauen Klima und dem ursprünglichen Leben der Fischer.

Mit Krøyer bekam die Kolonie Schwung. Knapp fünfzig Jahre war sie Treffpunkt zeitgenössischer junger Maler. Viele Bilder der Skagen-Maler hängen heute im ehemaligen Speisesaal des Hotels Brøndum, sozusagen das Vereinslokal der Kolonie. Heute Teil des Skagener Kunsthauses.

Krøyer konnte über viele Jahre mit geradezu manischer Kraft und Kreativität seine Bilder malen. Dann ließen seine schöpferischen Kräfte nach. Er wurde schwermütig, Zu Beginn der Jahrhundertwende kam er in psychiatrische Behandlung. 1909 starb Krøyer mit 58 Jahren in Skagen und wurde dort beigesetzt.

Als sein wohl berühmtestes Bild gilt „Sommerabend am Skagener Südstrand“. Zwei Jahre nach seiner Vollendung wurde das Bild von Lilli Lehmann-Kalisch, einer Berliner Sopranistin, während einer Ausstellung in München gekauft. Anschließend blieb es der Öffentlichkeit entzogen (es soll in einer österreichischen Berghütte gehangen haben). 1978 wurde das Bild vom Auktionshaus Bruun Rasmussen angeboten, zum Mindestpreis von 173 000 Kronen. Das Museum in Skagen bot das Doppelte für ein Bild, das auch in Dänemark vergessen, aber sofort als zentrales Werk der Malerschule erkannt worden war. Den Zuschlag jedoch erhielt der deutsche Verleger Axel Springer, für 520 000 Kronen, den höchsten Preis, der bis dahin je für ein dänisches Bild bezahlt worden war. Zwei Tage nach diesem Coup rief Springer das Museum an und erklärte, er wolle das Bild zwar bis zu seinem Tod behalten. Danach werde es aber dem Museum gestiftet, was 1986 geschah, als Dank, für die Rettung vieler Juden übers Meer durch die dänische Bevölkerung im Jahr 1943.

Jetzt ist es aber wirklich Zeit für einen Strandspaziergang mit den Augen freilich – am Skagener Südstrand.

Bildbetrachtung

Ein früher Sommerabend. Die Sonne taucht alles in ein sanftes Licht. Himmel und Erde, Wasser und Land und Luft und Dünen gehen am Ende des Weges ineinander über. Grenzen lösen sich auf. Keine Lüftchen rührt sich. Die wenigen Wellen machen leise darauf aufmerksam, dass das Meer da ist. Man kann nah am Wasser laufen an diesem Abend. Bis auf zwei Frauen keine Menschenseele. Kein Vogel. Kein Fischerboot. Nichts. Nur ein paar Fußstapfen im Vordergrund verraten, dass die beiden Damen den Strand an diesem Tag nicht exklusiv als lohnenswerte Flaniermeile auserkoren haben.

Die beiden Damen tragen bodenlange weiße Sommerkleider mit gelbgoldenen Gürteln. Kleider und Sand leuchten um die Wette. Eine Frau trägt einen Sonnenhut auf dem Kopf. Die andere hat ihn abgenommen und hält ihn in der linken Hand. Wir sehen sie von hinten mit den Augen des Malers. Diesen Augenblick hatte der allerdings mit seiner Kamera festgehalten. Als das Gemälde im Jahr 2005 restauriert wurde, fanden die Konservatoren Sand in der Farbe. Krøyer hatte das Bild, trotz seiner Größe von 1m x 1,50m, am Strand gemalt – wohl zu einer blauen Stunde.

Was die beiden Frauen zu besprechen haben, was sie bewegt, ist nicht überliefert. Sie scheinen einander vertraut zu sein. Wie beste Freundinnen. Und besten Freundinnen vertraut frau an, was stimmt und was nicht.

Diese beiden Freundinnen sind tatsächlich Best-Buddies. Sie vereint das Privileg, dass sie als einzige Frauen der Künstler-Kolonie angehören. Die beiden Frauen vereint auch, dass sie jeweils mit einem Maler verheiratet sind. Die linke ist Krøyers Frau Marie. Die rechte Anna Ancher. Ihr Mädchenname ist uns eben schon begegnet. Sie ist die Tochter des Hotelbesitzers Erik Brøndum. Er erkannte Annas Talent und förderte es durch privaten Kunstunterricht. Annas Mann Michael war im Hotel Brøndum schon seit 1874 abgestiegen, da war Anna zarte 15 Jahre alt. Sie verliebte sich in den zehn Jahre älteren Michael Ancher. Mit 18 Jahren verlobte sie sich, mit 21 heiratete sie ihn. Michael und Anna Ancher führten eine Künstlerehe in gegenseitigem Respekt. Und das ist der große Unterschied zu den Krøyers.

Die führten keine Ehe auf Augenhöhe. Er sah sich als Genie. Sie nur als Talent. Dieses frühe Doppelportrait ist drei Jahre vor dem Strandspaziergang entstanden.  Wir sehen Marie mit ihren ebenmäßigen Gesichtszügen. Krøyer dagegen schaut angestrengt. Als wenn ein Schatten auf dem Gesicht liegt.
Marie war in ihrer Ehe unglücklich und sah sich als Künstlerin missachtet. Immer wieder drang Marie vergeblich auf die Scheidung.

Anna Ancher wendet sich ihrer Freundin Marie zu. Mindestens ihre rechte Hand hat sie in die Hüfte gesteckt. Als wenn sie sich für Marie der Stimmung dieser Stunde entgegenstemmt.

Der dänische Dichter Holger Drachmann sagt das so: „Hier ist eine Wüstenlandschaft, die einen zermalmen kann. Entweder graues Gelb mit blaugrauer Luft darüber, oder glänzendes Weiß mit knallender blauer Luft darüber. Hier draußen wird man ganz leicht zu einem Nichts.“

„Kein Mensch ist Nichts. Du kannst was. Du bist wer!“, glaube ich Anna sagen zu hören.  

Hintergrund

Die blaue Stunde ist ein Naturphänomen. Es wird durch Streuung im Sonnenlicht verursacht, wenn die Sonne untergegangen ist, aber immer noch auf den Mond scheint, der das Licht in einem bläulichen Schein zurücksendet. Am Wasser sieht es so aus, als würden Himmel und Meer ineinanderfließen, die Horizontlinie verschwimmen und die Grenzen in Blautönen auslaufen. Nicht nur auf dem Bild. In echt!

So bezaubernd die Stimmung auch ist: Ein Idyll ist das nicht. Auch wenn sich Skagenurlauber oder Romantiker Krøyers Sommerabend als Druck ins Wohnzimmer hängen.

Dazu die Lichtstimmung zwischen unendlich und vergänglich von Zeit und Raum Da hinein mischt sich eine düstere Ahnung: der Mensch hat im Leben auch keine Garantie für immerwährendes Glück, aufrichtige Liebe und starke Kräfte. Und: alles Leben vergänglich ist. In dieser Stimmung drängen die wesentlichen Lebensfragen geradezu auf. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was lasse ich zurück? Was bleibt?

In diesen Sommerabend mag Krøyer schon so etwas wie eine Dämmerung seines eigenen Lebens hineingemalt haben. Die Frau wenden ihm den Rücken zu. Schließen ihn vom vertraulichen Gespräch aus. All das spricht für eine große Distanz. Räumlich wie emotional. In der Ehe wie in der Künstlerkolonie Wie in einer Vogelkolonie gab es auch dort eine Hackordnung. Sein größter Rivale: Michael Ancher. Gründer der Kolonie und Mann von Maries bester Freundin. Da ist jede Menge Sprengstoff drin.

Und irgendwann platzte die Bombe. Im Skagener Museum hat das Bild vom Strandspaziergang eine Wand für sich allein. Links davon befindet sich ein hohes, schmales Gemälde, das Marie Krøyer allein zeigt: Sie steht am selben Strand, einen Hund neben sich, und schaut in die Leere. Und dass schon ein Jahr, bevor das Bild vom Sommerabend entstanden ist.

Gegenüber aber hängt die Darstellung eines Mittsommernachtsfeuers am Strand, die Peder Krøyer im Jahr 1906 schuf. Das Dorf hat sich um die Flammen versammelt, die Angehörigen der Künstlerkolonie wie die Einheimischen, und die Kinder sitzen im Sand oder tanzen. Im Hintergrund aber steht Marie Krøyer, Arm in Arm mit einem anderen Mann an ein Boot am Strand gelehnt: Der schwedische Komponist Hugo Alfvén hatte sich in die Malerin verliebt, nachdem er das Porträt mit Hund und Meer gesehen hatte. Sie begegneten sich 1902 auf Sizilien. Marie war dorthin während Peders gesundheitlicher Krise gereist oder besser entflohen. Danach war es endgültig um die Ehe der Krøyers geschehen. Auch die Künstlerkolonie brach zu dieser Zeit endgültig auseinander. Dass Krøyer seine Marie mit ihrer neuen Flamme ins Bild setzt, kann man als Kapitulation deuten oder als Versöhnung mit dem, was nicht mehr zu ändern ist.

Zu Gast ist auch der Dichter und Maler Holger Drachmann (links im Bild). Noch heute wird am Sankt-Hans-Aften, wie die Dänen den Mittsommerabend nennen, Drachmanns Midsommerweise „Vi elsker vort land“ – „Wir lieben unser Land“ (1885) gesungen. Eine Liebeserklärung an Dänemark. Sicher auch wegen der blauen Stunde und der weißen Nächte. Und weil Dänemarks Lieder und Bilder keineswegs so flach sind wie das Land.

Theologische Deutung

Bis heute spielen die Menschen in Skagen das Lebensspiel „Zwischen zwei Welten“. Zwei Meere treffen aufeinander. Manche Besucher lassen sie sich fotografieren, vermeintlich mit dem einen Fuß im einen, dem anderen Fuß im anderen Meer, obwohl der Sand fortwährend seine Lage verändert und beide Meere nicht leicht auseinanderzuhalten sind. Oft, so heißt es, zeugten kreuz- und querlaufende Wellen vom Aufeinandertreffen der Meere. Aber man muss vielleicht am Wasser aufgewachsen sein, um solche Bewegungen zu erkennen.

Ich glaube, es gibt Zeiten, da kann ich nicht recht unterscheiden, in welcher Welt ich mich befinde. Ob etwas zu Ende geht. Und ein Neues beginnt.
Manchmal will ich die Vergangenheit festhalten und traue mich nicht, den Fuß wenigstens gedanklich in die noch ungelebte Zukunft zu setzen. Weil sie noch keinen Namen hat.
Manchmal bin ich unerschrocken. Lass das Alte und erobere kühn eine neue Welt. Solange das eine nicht mehr ist und das andere noch nicht, lebe ich dazwischen. Weil es für hinten wie vorn keine klaren Konturen gibt. Wie zur blauen Stunde.

Das ist aufregend. Es ist geheimnisvoll. Das ist aber auch erschreckend und anstrengend. Dieses Dazwischen. Die Bibel ist voll von Zwischenräumen. Als Abraham von Gott einen Sohn versprochen bekam, wartete er mehr als zehn Jahre auf die Erfüllung dieses Versprechens.
Für mich ist der Karsamstag ein Zwischenraum. Ein leerer Tag. An dem ich aushalte, was Verloren ist. Und als Christenmensch dem Ostermorgen entgegenlebe. Die gläubigen Jüdinnen und Juden haben diesen Tag nicht. Sie warten heute noch auf ihren Messias.

Streng genommen leben wir Christenmenschen andauernd in einer blauen Stunde. Wir sehen uns nicht so richtig in dieser Welt und wir sind auch noch nicht im Himmel. Wir verabschieden uns innerlich von allem in dieser Welt, was Dunkel und Dürre über die Menschen bringt. In jedem Sinne. Und wir leben von der Hoffnung des weiten Himmels, dass eines Tages alle Welt versöhnt miteinander lebt. Solange halte ich mich daran, was dir und mir verheißen ist:

Gott verkündet Frieden seinem Volk –denen, die ihm die Treue halten; seine Herrlichkeit wird wieder in unserem Land wohnen. Dann verbünden sich Güte und Treue, dann küssen einander Gerechtigkeit und Frieden. Treue wird aus der Erde sprießen und Gerechtigkeit vom Himmel herabblicken. Gott selbst wird uns mit Gutem beschenken, und unsere Felder werden reiche Ernten bringen. Gerechtigkeit wird dem Herrn vorausgehen, ja, sie wird ihm den Weg bahnen.

So kann ich im Dazwischen leben. Und leibhaftig tatsächlich nach dem Vorbild von Marie und Anna mir einen best buddy suchen, einen Freund, eine Gefährtin. Und teilen, was mich in der blauen Stunde bewegt.

Lied: Schön sind die Menschen (nach EG 403 „Schönster Herr Jesu“)
Schön ist die Erde,
prächtig Gottes Himmel,
schön sind die Menschen ihr Leben lang!
Durch all’ die Schönheit
auf dieser Erde
erschallt Gott unser Lobgesang.

Tage, sie kommen,
Tage, sie vergehen
in aller Menschen Lebensgang;
Gott aber bleibet
in Leid und Freude:
Frohlockt, ihr Menschen, seid nicht bang.

Schön ist der Abend
sanfte Lüfte hüllen
Herzen und Sinne in seel´ge Ruh.
Nichts kann sie schrecken.
Gott will sie decken
mit seinem Frieden sanfte zu.

Schön sind die Nächte
müde Glieder liegen,
denn alles Tagwerk ist nun vollbracht.
Ende vom Mühen.
Anfang zum Blühen.

Der neue Tag erwartet dich. Schön ist der Morgen
lasse alle Sorgen.
Steh auf, Gott macht dir das Leben leicht.
Freude gewinne!
Tanze und singe.
Der Tag ist dein, du Gotteskind.

Vaterunser
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen
Geh,
gestärkt für den Weg,
erfüllt von Kraft und Mut.

Geh aufrecht und entschlossen,
der Boden unter deinen Füßen trägt.
Nimm deine Angst mit und deine Tränen.

Schau um dich.
Nie ist nichts.
Traue deinen Augen.
Bald siehst du klar.

Nimm andere mit,
die du im Herzen trägst,
die du dir erträumst,
und die mit dir Dazwischen leben

Gott begleite dich
und segne dich
wohin auch immer dein Weg dich führt.
Sein Friede fülle dein Herz. Amen.

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