Monika

Monika

Brotzeit mit Gott schmeckt nach mehr (Johannes 6, 30-35)

Es ist Punkt sechs Uhr in der Frühe. Monika schreckt von ihrer Isomatte hoch. Hat es geklingelt? Sie kennt den Ton noch nicht. Gestern erst ist sie eingezogen. Gartenstraße 4. 2. Stock. Ruhige Wohnlage. Ein Traum.

Es klingelt tatsächlich. Kein Traum. Monika wuchtet sich mühsam in die Höhe. Sie spürt jeden Knochen. Und das mit achtundvierzig. Der Umzug hatte es in sich. Das neue Bett kommt erst heute.

Es klingelt wieder. Monika sucht nach irgendeinem Fetzen Stoff, damit sie morgentauglich wirkt. Dann stolpert sie zur Tür. Und öffnet.

Draußen steht Gott. „Guten Morgen, Monika“, flötet er ihr entgegen. Unerträglich fröhlich für die Uhrzeit, findet Monika.

„Wie war die erste Nacht?“, fragt Gott.

„Zu kurz“, antwortet Monika. Und fragt: „Weißt du eigentlich, wie früh es ist?“

„Gewiss, sechs Uhr. Die erste Stunde. Es ist nie zu früh, um >Herzlich Willkommen< zu sagen. Darum bin ich eigentlich da.“

„Danke“, gähnt Monika Gott entgegen.

„Ich dachte mir“, setzt Gott nach, „so allein in der neuen Wohnung zwischen den vielen Kisten, das ist kein guter Anfang. Wir könnten miteinander frühstücken.“

„Aber ich habe doch überhaupt nichts im Haus.“ Monika wirkt verzweifelt.

„Ich hab alles dabei“, sagt Gott. Er präsentiert Monika triumphal seinen Picknickkorb. Brot und Salz. Und ein komplettes Frühstück mit allem, was das Herz begehrt. Gott strahlt übers ganze Gesicht. Und er betont ausdrücklich, dass er das Brot gestern selbst gebacken habe, während Monika eingezogen ist.

„Ach, Gott“, beginnt Monika sichtlich gerührt. „Ach, Gott, der Duft kam aus deiner Wohnung? Hör zu: Ich bin unglaublich müde. Ich habe schlecht geschlafen. Ich spüre jeden Knochen. Ich sehe zum Davonlaufen aus. Hier ist alles durcheinander. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Und du, lieber Gott, stehst da. So unverschämt frisch. Mit deinem Brot. Um sechs Uhr früh! Aber: Noch nie hat jemand für mich ein Brot gebacken. Es ist Ewigkeiten her, dass mir mal jemand das Frühstück gemacht hat. Noch nie hat ein Nachbar von sich aus Hallo zur Neuen im Haus gesagt. Meinetwegen komm herein, aber nur wenn du aushältst, wie es bei mir aussieht und dass ich keine Morgenschönheit bin.“

2.

Zwischen Bananenkartons und Koffern findet sie ein Plätzchen. Und dann lassen es sich Monika und ihr Nachbar schmecken.
„Am liebsten esse ich ja frisches Brot mit Nix!“, sagt Gott. „Das ist so lecker.“

Monika lauscht und schweigt. Gott schweigt und genießt. Das verbindet.

„Meine Oma hat auch immer selbst gebacken“, sagt Monika in die Stille hinein. „Wenn ich dein Brot esse, sehe ich sie vor mir. Oma ist gestorben als ich sieben war. Sie war die Güte in Person. Sie hatte immer Brot. Wenn mich etwas bedrückte, bin ich zu ihr. Dann gab sie mir ein Stück Brot. Und sich auch. Und dann aßen wir es auf dem alten Sofa in der Küche. Still nebeneinander. Sie brauchte keine Worte und verstand trotzdem. Sie brauchte keine Worte und tröstete trotzdem. Aber mir wurde leichter ums Herz. Als meine Oma gestorben war, buk niemand mehr Brot. Irgendwie ist mir da was verloren gegangen.

„Aber nicht deine Erinnerung“, tröstet Gott. „Die ist doch wach! Ist das nicht schön, was in solch einem kleinen Stück Brot eingebacken ist? Es ist so viel Leben darin!“

 „Ja, meine Erinnerung habe ich. Sie sagt mir: Ich brauche mehr, als was allein meinen Magen zufriedenstellt. Ich brauche auch ein zuhause. Ich brauche Menschen, die mich gern haben und ich sie. Ich brauche eine Aufgabe.“

„Eine Wohnung hast du ja schon“, meint Gott.

„Ein Traum“, frohlockt Monika. „Wenn auch ein sündhaft teuer. Ich bin echt an meine Schmerzgrenze gegangen.“

„Ist die Frage, worin der Schmerz liegt“, entgegnet Gott. „In der hohen Miete oder wenn du weder Freunde und noch Familie hast, die die Bude mit Leben füllen. Die mit dir essen, wie wir beide jetzt. Und die beim Essen diskutieren, wie sie die Welt verbessern könnten.“

„Wie zu besten WG-Zeiten“, lacht Monika. Und fügt leise hinzu: „Aber das ist lange her. Ein bisschen von dem Leben könnte hier ruhig mit einziehen. Ich hätte nichts gegen etwas mehr Schwung.“

Dann erzählt Monika, wie ihr der Schwung abhanden gekommen ist. Die viele Arbeit, immer Überstunden. Auf ihre Kollegen ist sie nicht gut zu sprechen. Deren unausgesprochene Gedanken stehen im Raum, wenn der Dienstplan gemacht wird: Die Monika ist ja da. Die ist Single. Die hat keine Familie. Auf die wartet niemand. Stimmt ja auch. Auf sie wartet tatsächlich niemand. Ihre Eltern hat sie bis zum Tod gepflegt. Die Verwandtschaft ist in alle Lande verstreut. Und bei aller Arbeit und Sorge um die Eltern ist sie auf der Strecke geblieben. Dabei fände Monika es schon schön, wenn die Liebe bei ihr einzöge. Für sie kocht. Oder Frühstück macht, so wie Gott an diesem Morgen. Monika stellt sich eine Liebe vor, mit der sie den Sonntagnachmittag auf dem Sofa vertrödeln kann. Oder Blaubeereis schlecken. Mit ihrer Liebe würde sie Gipfel erstürmen. Sandburgen bauen. Tandem fahren. Herzen in beschlagene Scheiben malen. Und Schlager trällern. Aber diese Liebe hat Monika nicht gefunden. Und sie hat aufgehört, nach ihr zu suchen.

„Aber du bist doch jung“, erwidert Gott.

„Ich bin achtundvierzig. Und nicht mehr taufrisch. Am Morgen erst recht nicht, wie du siehst!“

„Ich finde dich ganz hübsch“, beeilt sich Gott zu sagen. „Steht dir übrigens gut, das T-Shirt!“

Erst jetzt bemerkt Monika, dass sie in der Eile das T-Shirt falsch herum angezogen hatte und das Schild außen fröhlich vor sich hin wedelt. Sie entschuldigt sich für einen Moment, um sich zu richten.

3.

„Was soll ich denn deiner Meinung nach tun“, fragt Monika Gott, als sie neu arrangiert zurückkehrt.

„Brotzeit!“

„Brotzeit?“

„Ja, Brotzeit“, wiederholt Gott. „Lade dir ein paar Leute ein. Hier aus dem Haus. Oder Arbeitskollegen. Und wenn du mutig bist, dann lädst du wildfremde Leute zu dir ein. Was hast du schon zu verlieren? Im Gegenteil: du kannst doch nur gewinnen. Neue Leute. Neue Geschichten. Und vielleicht ist deine Liebe dabei. Gib der Liebe eine Chance.“

„Du hast gut reden, Gott.“

„Ja, habe ich. Ich lade seit Ewigkeiten immer wieder Menschen zur Brotzeit ein. Und ich mache nur gute Erfahrungen. Es gibt Brot mit Nix. Und Wein. Und jedes Mal geschieht ein kleines Wunder. Ich hab an meinem Tisch schon die dickköpfigsten Streithähne sitzen gesehen. Aber für den Moment an meinem Tisch war Friede. Wahrscheinlich, weil ich der Gastgeber war. Sie waren beide Gäste. Es gab keinen Anlass, sich über den anderen zu erheben.“
Und dann erzählt Gott Monika von seinen Gästen. Peter, der sich die Zähne ausgebissen hat an seinem Beruf, den er nur seinem Vater zuliebe erlernt hat und der ihm keinen Spaß macht. Gott erzählt von Gisela, die die Liebe ihres Lebens verloren hat und die in ihrem Leben keinen Sinn mehr sieht. Gott erzählt von Oskar, der drüben vorm Supermarkt Tag für Tag um ein paar Cent bettelt und sich immer schnell verkrümelt, wenn er beschimpft wird. Gott erzählt von Rüdiger, dessen Niere einfach nicht mehr richtig arbeitet und der auf eine neue wartet.

„Und dein Brot reicht. Und dein Wein?“, fragt Monika.

„Es reicht immer“, versichert Gott.

4.

In Monika regt sich leise Widerstand. „Aber von einem Stück Brot und einem Schluck Wein wird doch Rüdiger nicht gesund. Peter bekommt auch keinen neuen Beruf. Und Gisela nicht ihren Mann zurück. Die Streithähne streiten anschließend weiter. Und Oskar mit dem knurrenden Magen wird auch nicht satt.“

„Stimmt“, räumt Gott ein. „Ich leide mit jedem von ihnen. Mit denen, die kein Brot finden und verhungern. Mit denen, deren Mägen knurren und die darüber den Glauben an mich und die Welt verloren haben. Ich leide auch mit denen, die das Stückchen Brot nicht zu schätzen wissen. Ich wünschte, ich könnte jedes Leid, jedes Schicksal, jeden Streit aus der Welt schaffen.“

„Das kannst du nicht?“, fragt Monika erstaunt. „Aber du bist doch Gott!“

„Der bin ich!“, antwortet er.

„Aber was tust du dann“, will Monika wissen.

„Brotzeit. Du weißt doch: Die Liebe deiner Oma ist im Brot eingebacken. Und ihr Trost. Und auch deine Sehnsucht nach der Liebe und neuem Schwung in deinem Leben. So oder so ähnlich würde es jeder Gast sagen, der an meinem Tisch gegessen und getrunken hat. Der eine spürt Friede. Die andere erlebt für einen Moment, dass sie nicht allein ist. Wer Brotzeit hält an meinem Tisch, der ist nicht allein. Und natürlich wünsche ich mir, dass der Streit danach nicht weitergeht. Und dass sich einer in meinem Namen verbündet mit denen, deren Mägen knurren. Ich setze auf das Mitgefühl. Ich setze auf die Liebe meiner Gäste. Wer Brotzeit hält an meinem Tisch, dem kann die Not eines anderen nicht egal sein.“

5.

„Wie dir“, sagt Monika gerührt. „Ein kleines Wunder hast du ja heute schon vollbracht. Soviel esse und rede ich sonst nicht um diese Zeit. Und es fühlt sich gut an. Es ist gut, hier zu sein in diesem Haus. Danke, Gott. Ich kann es kaum erwarten, die anderen Bewohner kennenzulernen.“

Da klingelt es wieder an der Tür. „Mach nur auf“, sagt Gott, „ich räume auf.“

Draußen steht der Möbelwagen. Das neue Bett ist da.

Einen großen Tisch will Monika heute noch bestellen. Amen.

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