Die Liebe ist ramponiert

Die Liebe ist ramponiert

Die Liebe ist ramponiert, als ich sie treffe. Ihr Haar ist zerzaust. Die Lippe aufgeplatzt. Das linke Auge ziert ein Hof in Vergissmeinnichtblau. Ihr Kleid ist zerrissen. Barfuss kommt sie daher. Ihre Füße sind schmutzig. Die Liebe wirkt erschöpft.

„Was ist denn mit dir passiert“, frage ich sie, „so kenne ich dich gar nicht!
„Oh“, erwidert die Liebe erstaunt.

„Ich kenne dich in Gala, rosenrot, mit süßem Duft, warmen Worten, zarten Gefühle. Ich kenne deine romantische Ader. Ich weiß um deine erotische Seite. Ich kenne deinen Herzschlag für die Armen. Sollte ich noch mehr wissen?“

„Du kennst mich gut. Aber alles, was du von mir weißt, ist nur ein Teil dessen, was ich bin.“ Die Liebe setzt sich. Ich setzte mich zu ihr.

„Und?“, frage ich. „Was sollte ich noch von dir wissen? Du könntest mir erzählen, warum du so ausschaust?“

„Das möchtest du nicht wissen“, kontert die Liebe. Und ich zurück: „Wenn ich dich von allen Seiten kennenlernen soll, dann musst du sie mir zeigen!“

„Sicher?“, fragt die Liebe. „Ich werde dir eine Geschichte erzählen, aber sage nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“

„Ich bin bereit!“, höre ich mich kühner sagen als ich Mut habe.

„Gut. Wie du willst. Dann setze dich aufrecht hin. Atme ein paar Mal tief durch. Schließe die Augen. Und warte auf die Bilder, die dir kommen.“ Ich tue wie die Liebe sagt. Und sie beginnt zu erzählen.

„Es ist ein schöner Morgen gewesen. Ich tat, was mir das Liebste ist. In meinen Weinberg gehen und schauen, was wächst. Was Frucht bringt. Immerhin habe ich viel investiert. Gesät. Bewässert. Besonnt. Sogar gut zu geredet, wie man das mit Pflanzen halt so macht. Oder mit Kindern. Oder mit Traurigen. Oder solchen mit wenig Kraft. Und wenig Mut. Ich zog noch einen Zaun zur Sicherheit. Man weiß ja nie, was Wildschweinrotten so anrichten im Hungerwahn. Und einen Raum, um die Ernte einzufahren, baute ich auch.
Du siehst, das Feld war bestellt. Alles vom Feinsten. Alles in bester Ordnung. An diesem Morgen beschloss ich: es gibt so viel zu tun für mich. Ich schaue anderswo vorbei, wo ich gebraucht werde.
Ich verpachtete mein gut bestelltes Feld. Die Pächter bewirtschafteten meinen Besitz. Und einen Teil der Früchte sollte an mich gehen. So war der Deal. Immerhin habe ich den Grund bereitet. Es schien also alles in bester Ordnung. Doch ich hatte mich getäuscht.
Als die Zeit reif war, schickte ich einen meiner Mitarbeiter, um die Früchte abzuholen. Allein: er kam mit leeren Händen und jeder Menge Schrammen zurück. Unter Schlägen haben sie den Knecht vom Hof gejagt.
Ich schickte einen anderen, stärker, älter, überzeugender als der erste. Mit ihm machten sie das Gleiche.
Das gibt´s doch nicht, dachte ich. Wie können die nur? Na wartet: ich habe noch einen Trumpf! Meinen eigenen Sohn schicke ich. An ihn werden sie keine Hand anlegen.
Doch sie dachten Böses zu tun. Sie rieben sich die Hände, als wenn ich einen strategischen Fehler begangen hätte. „Er schickt seinen eigenen Sohn, wie nett. Dann lasst uns ihn töten. Kein Erbe. Kein Anspruch. Alles ist unser. Sehr guter Deal!“ Und sie taten, wie sie es erdachten. Sie töteten meinen Sohn. Und warfen ihn über den Zaun wie einen Verbrecher.“

Dann sagte die Liebe nichts mehr. Und ich auch nicht. Was sollte ich auch sagen?! Meine Empörung war unsagbar. Ich hätte schreien können, wenn meine Tränen nicht meine Stimme erstickt hätten. Ich wusste nicht wohin, mit meinen Fragen, wie man so gemein, so skrupellos sein konnte wie die Pächter. Wie sich die Liebe das bieten lassen konnte. Und wie die Geschichte weitergeht. Aber ich fragte: „Und warum schaust du jetzt so aus?“

„Weil ich keinen schicke, ohne dass ich mitgehe!“, antwortete die Liebe. Mich haben sie geschlagen. Mich haben sie getreten. Mich haben sie hinausgeworfen. Mich haben sie getötet!“

Ich verstand nicht, was die Liebe sagte. „Du sitzt doch neben mir. Ich spreche doch mit dir. Du bist nicht tot.“

„So ist es. Die Liebe lässt sich nicht töten. Die Liebe lässt sich nicht begraben. Weil ich so viel gesät habe, so viel begossen, besonnt, besprochen, dass immer irgendwo eine neue Liebe aufsteht. Töchter und Söhne.“ Ich war ein bisschen verwirrt. Aber es hörte sich gut an, was die Liebe sagt.

„Die Liebe hört niemals auf“, sprach ich leise, aber hörbar.
„So ist es“, ergänzte die Liebe.

„Und was willst du jetzt tun?“, fragte ich. „Immer wieder von neuem Schläge einstecken, Kämpfe austragen, verraten, verkauft, vertrieben werden? Tausend Tode sterben? Und wieder aufstehen. Und wieder sterben und wieder aufstehen und wieder…“

„Ich kann nicht anders!“, fiel mir die Liebe ins Wort

„Du kannst nicht anders? Du könntest doch in deinem Namen einfach mal dazwischenhauen. Den Verbrechern klare Kante zeigen. Jage sie doch hinaus, bevor sie noch mehr Unheil stiften.“

„Ich kann nicht anders, als meinen Kopf und mein Herz hinhalten. Meine Hände und Füße. Mein letztes Hemd!“

„Aber dann wird sich nie etwas ändern“, protestierte ich. „Die Verbrecher lachen sich ins Fäustchen. Sie verhöhnen sogar die Opfer! Wenn nicht mal du ihnen etwas entgegensetzen kannst, wiederholt sich die Geschichte immer wieder.“

„Diese Geschichte wiederholt sich immer wieder. Schon seit Jahrhunderten. Und die Geschichte wir sich immer wieder ereignen. Nur die Namen und Gesichter wechseln.“

„Ich verstehe dich nicht. Bist du so ohnmächtig? Oder sonnst du dich im Leiden der Opfer, weil du dann so richtig loslegen kannst mit deinen Wohltaten?“

„Menschenlogik“, sagte die Liebe scharf. „Wie dein Wunsch nach einem Racheakt! Selbst wenn ich die einen töte, dann wiederholt sich die Geschichte trotzdem. Dann halt woanders. Einfache Antworten und schnelle Lösungen sind nicht mein Ding. Ich habe mir mal vor Urzeiten geschworen: Nie mehr will ich wegen der Menschen die Erde verfluchen, obwohl sie voller Bosheit sind. Nie wieder will ich alles Leben vernichten, wie ich es getan habe! Bei dem Grundsatz bleibe ich. Gotteslogik!“

„Ein Ende mit Schrecken würde aber dem Schrecken ein schnelles Ende bringen!“

„Menschenlogik. Und ich gebe zu: verlockend. Und deine Frage, die im Raum steht, ist nicht unberechtigt: mit wem verbünde ich mich? Mit Tätern? Oder mit Opfern?“

„Und wie ist deine Antwort?, hake ich nach.

„Ich verbünde mich mit den Opfern und achte immer noch die Würde der Täter!“

„Die Würde der Täter? Haben sie sich nicht selbst um ihre Würde gebracht?!“

„Nein. Nach meinem Grundsatz ist die Würde eines Menschen unantastbar, so viel Schuld er auch auf sich lädt.“

„Puh“, entfährt mir und ich muss erstmal schlucken. „Das ist schwer auszuhalten. Freunde machst du dir damit nicht. Auf keiner Seite! Kein Wunder, dass du so ausschaust.“

„Das klingt hässlich, ist aber wahr. Ich hole mir deswegen immer wieder Schrammen und gar den Tod. Das ist der Preis dafür, dass sich irgendwann die Geschichte nicht mehr wiederholt. Ein echter Kraftakt!“

„Du könntest es einfacher haben…!“

„Könnte ich. Will ich aber nicht.“

„Warum?“

„Ich erkläre es dir. Mit einem anderen Bild! Weißt du, was ein Eckstein ist?“

„Ja, es ist der Stein in einem Bauwerk, auf den alles zuläuft. Er muss die Kräfte von allen Seiten aushalten. Und kann es auch.“

„Schau“, führt die Liebe aus, „wenn der Eckstein fehlt, dann bleibt kein Stein auf dem andern. Und jetzt stell´ dir vor, dass ich dieser Eckstein bin! Ich halte alles aus. Auch die Schläge. Auch den Tod.“

„…und hätte die Liebe nicht…!“, murmele ich.

„Wie meinen?“, fragt die Liebe nach.

„…und hätte ich die Liebe nicht, dann wäre ich nichts. Und wäre die Liebe nicht, dann machte jeder, was er will. Dann herrscht pure Anarchie!“

„Du weißt, was das bedeutet: Anarchie?“

„Ohne Herrschaft!“

„So ist es! Ich bin bestimmt nicht alles für einen Menschen. Es gibt auch noch anderes, wie die Hoffnung und die Sehnsucht und den Glauben und den Frieden. Aber ohne mich, ohne die Liebe ist alles nichts. Darum mische ich mich ein und alles auf, wo ich noch nicht bin. Verstehst du das?“

„Ja“, wage ich zu sagen. „Ich weiß nur nicht, ob ich das kann, so lieben. Immer und überall.“

Die Liebe lächelt. „Allein, dass du fragst, dass du dir einen Kopf machst um mich, um dich und die Welt, zeigt, dass ich dich erreicht habe. Und du hast mir keine verpasst. Und mich nicht vom Hof gejagt.
Auch wenn´s schwer wird: versuche es mit meiner Gotteslogik. Dann bin ich in dir stärker, heißer und mutiger als sich ein Menschenherz erdenken kann. Willst du es versuchen?“

„Ja“, sage ich. Schon mutiger.

Und die Liebe schallt mir entgegen: „Und Amen!“

nach Markus 12, 1-12 und 1. Korinther 13, 1-13

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