Blume des Jahres 2022
Alle, die den Herrn ernst nehmen, kommen zu Ehre und Ruhm, mit Glück und Freude werden sie gekrönt.
Die Ehrfurcht vor dem Herrn erquickt das Herz, gibt fröhlichen Sinn und ein langes Leben.
Wenn du ihn ehrst, geht es dir am Ende gut und am Tag deines Todes wirst du gepriesen.
Den Herrn zu ehren ist der Anfang der Weisheit. Den Menschen, die ihm die Treue halten, ist sie angeboren; im Mutterleib wurde sie zusammen mit ihnen erschaffen.
Von jeher wohnt sie bei solchen Menschen, auch bei ihren Kindern und Enkeln wird sie bleiben. Den Herrn ernst zu nehmen bringt Weisheit in Fülle. Sie beglückt die Menschen mit ihren Früchten, sie füllt die Häuser und Vorratskammern mit allem, was man sich wünschen kann.
Die Krone der Weisheit ist es, den Herrn zu ehren; wo sie herrscht, blühen Wohlstand und Gesundheit. Einsicht und Erkenntnis gießt sie aus wie Regen; sie mehrt den Ruhm aller, die sie bewahren.
Die Wurzel der Weisheit ist Ehrfurcht vor dem Herrn und ihre Zweige sind ein langes Leben.
Jesus Sirach, 1, 11ff
Paris Quadrifolium. Lateinischer Künstlername für den Star unter den Blumen. Blume des Jahres 2022 ist Paris. Gekürt von der Loki-Schmidt-Stiftung. Auf dem deutschen Laufsteg trägt Paris den Namen „Vierblättrige Einbeere“.
Sie ist eine sehr eigentümliche Pflanze, deren Schönheit sich manchen vielleicht erst auf den zweiten Blick erschließt. Sie kommt in Deutschland noch häufig vor, aber ihre Bestände gehen vielerorts zurück.
Dollwurz ist ihr alter Name. genannt wurde. Wie der Tollkirsche auch auch der Dollwurz oder Einbeere eine psychoaktive, eine halluzinogene Wirkung nachgesagt. Selbstversuche sollte man tunlichst unterlassen, denn die Einbeere ist von Beere bis Wurzel giftig.
Die Einbeere gehört zu den Germergewächsen. In der Volksheikunde wurde eine ultrahochverdünnte Abkochung gegen Migräne und neuralgische Kopfschmerzen verwendet. In der Homöopathie hat sie auch heute noch ihren Platz: Bei Augenleiden (Signatur), bei den oben genannten Arten von Kopfschmerzen und bei Trigeminusneuralgien wird sie in niedrigen Potenzen eingesetzt. Äußerlich sollen Blätter bei schlecht heilenden Wunden und Hämmorhoiden helfen.
Man verwendete die Pflanze auch gegen den sogenannten „bösen Blick“. Von dem glaubte man, dass durch seine magische Kraft andere Menschen Unheil leiden oder zu Tode kommen können oder aber Besitz beschädigt werden könnte. Dazu wurde die Einbeere aber nicht eingenommen, sondern sie wurde über der Tür befestigt oder die getrocknete Beere wurde in Kleidung eingenäht, so sollte sie ihren Träger beschützen.
Paris ist eine Schönheit wie es sie kein zweites Mal gibt. Sie Ist ein echter Hingucker. Ihr Name ist Programm. Die Einbeere bildet pro Pflanzentrieb nur eine einzige Beere, umrankt von vier großen Blättern. Weil sie nur eine Beere ausbildet, kann sie sich nur begrenzt mittels Samen ausbreiten. Das tut sie eher im Verborgenen. Unterirsch gut ist sie vernetzt über Erdsprosse, sog. Rhizome. Auch andere Pflanzenarten wie Buschwindröschen und Leberblümchen machen das so. um neue Waldstandorte zu besiedeln.
Wem ich im bisher von Paris erzählt hatte, fragte meist zurück. Bitte wer? Nie gehört! Nur einige wenige konnten mit dem Namen etwas anfangen und haben die Einbeere auch in natura gesehen. Vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig. Zumindest habe ich diesen Verdacht, als die Wahl der Jury auf Paris fiel. Natürlich ist die Blume wichtig, weil sie schön ist und bedroht. Aber der Jury war noch etwas anderes wichtig:
„Als Loki Schmidt Stiftung haben wir die Einbeere zur Blume des Jahres 2022 gewählt, um zum dringenden Schutz der alten, naturnahen und wilden Wälder aufzurufen, die der Einbeere und anderen Pflanzen und Tieren langfristig einen Lebensraum geben und die für die Ausbreitung notwendige Zeit.“
Paris wächst in der Tat gern in einem Mischwald. Sie fühlt sich pudelwohl in der Nähe von Buchen. Und nach Ansicht der Loki-Schmidt-Stiftung in einem wilden, naturnahen Wald.
Es geht also nicht nur um die Pflanze. Es geht um die Umgebung, in der sie wächst. Es geht um die Wachstumsbedingungen. In der Natur und auch in meinem Garten. Wenn eine Blume nicht blüht, verändere ich ja nichts an der Blume. Sondern ich schaue, dass sie den richtigen Boden hat, genügend Wasser, Dünger oder Licht hat. Allerhöchsten lerne ich, sie richtig zu schneiden. Aber das gehört schon wieder zu den Wachstumsbedingungen. Und darauf sind die Blumen wie alle Geschöpfe angewiesen. Und besonders auf die Wohlfahrt und Pflege derer, die sich ihnen befreund gemacht haben.
Schaut, mit den Tieren ist das ja genauso. Meine wesentlich bessere Hälfte schaut liebend gern Hundeprofi Martin Rütter, wie er Problemhunde bändigt. Manchmal schaue ich mit, obwohl ich weiß, dass das Credo des Hundeprofis immer eines ist: Nicht der Problem-Hund, sondern der Mensch muss seine Einstellung und Verhaltensweisen ändern. Manche Hunde sind deshalb schwierig, weil sie schlicht unterfordert sind. Logisch, oder, dass sie dann auf dumme Gedanken kommen. Irgendwie fast menschlich. Wenn aber die Mensch-Hund-Beziehung durch Kommunikationsmissverständnisse so belastet ist, dass ein Zusammenleben nur noch Stress für beide Parteien bedeutet, muss man in Erwägung ziehen, den Hund in eine andere Umgebung abzugeben. Ganz menschlich, oder?
Wenn ich mich in meiner Umgebung nicht wohl fühle, keine Freude empfinde, mich nicht entwickeln, nicht blühen kann, dann muss ich die Umgebung wechseln. Ein erwachsener Mensch kann das. Wie vor kurzem der katholische Generalvikar, also der stellvertretende Bischof von Speyer Andreas Sturm. „Ich muss raus aus dieser Kirche. Weil ich Mensch bleiben will“, lautet sein Buch, in dem er begründet, warum er aus der katholischen Kirche ausgetreten ist. Ein Mensch kann die Umgebung wechseln. Ein Kind, ein Tier, eine Pflanze nicht. Sie sind auf die Fürsorge der Menschen angewiesen, denen sie anvertraut sind. Sie sind deren genauen Blick angewiesen. Auf deren Ehrfurcht vor dem anderen Gottesgeschöpf. Sie sind angewiesen auf die Ehrfurcht eines Menschen vor dem Schöpfer aller Lebewesen. Gottesfurcht nennt die Bibel diese Ehrfurcht. Sie nimmt Gott, den Schöpfer so wichtig, dass ihnen der gute Lebensraum aller Lebewesen am Herzen liegt. Sie schaut mit dem liebevollen Blick Gottes, der jedes Leben will, dem jedes Leben heilig ist.
Gott hat den Menschen nur etwas weniger gemacht als sich selbst, sagt der Beter des 8. Psalms. Der Mensch hat dann immer noch ein hohes Maß an Verantwortung für Gottes Schöpfung. Und darum begleiten mich wie ein Mantra diese Fragen an meinen Tagen: Wie viel Raum zur Entfaltung habe ich? Wen lasse ich neben mir wachsen? Oder stutze ich Emporkömmlinge neben mir? Was braucht mein Kind, meine Ehepartnerin, mein Kollege, meine Freundin, damit sie gut leben können. Wie wäre es, wenn wir uns und allen Geschöpfen neben uns wenigstens ein Viertel des Lebens zur freien Entfaltung ließen, auch wenn die überraschend in meinem Garten wachsenden Blumen ihr buntes Spielchen mit der Freiheit treiben. Wie wäre es, einem Kind so viel Freiraum zu geben, dass es seine Talente testen kann. Vielleicht einen Beruf erlernt, in dem es aufgeht, und nicht Erfüllungsgehilfe für elterliche Pläne ist.
Mit Blick auf die Blume des Jahres, lerne ich auch den Blick fürs Ganze. Ich mute mir zu, dass es keine pauschale Handlungsanweisung für alle Geschöpfe gibt außer der Gottesfurcht. Denn Pflanze ist nicht gleich Pflanze. Tier nicht gleich Tier. Mensch nicht gleich Mensch. Jedes Geschöpf ist des genauen Blickes wert. Die eine Pflanze braucht kalkigen Boden. Die nächste mag es schattig. Eine andere nimmt am liebsten ein Sonnenbad. Manche Pflanzen brauchen zum Winter den Kurzhaarschnitt und sind die ganz harten bei Wind, Wetter und Minusgraden. Andere verzichten auf Licht und Wasser. Und die nächsten mögen es warm. Und wenn mir das alles zu kompliziert ist, wenn es mich überfordert, dann sollte ich besser auf Pflanzen verzichten. Und andere auf Haustiere. Und nicht allen Menschen ist es gegeben, Kinder in die Welt auszutragen und groß zu ziehen. Aber wenn ich mich entscheide, Verantwortung für ein Geschöpf zu übernehmen, dann mit Gottesfurcht. Und mit Gottes Hilfe. „Alle, die den Herrn ernst nehmen, kommen zu Ehre und Ruhm, mit Glück und Freude werden sie gekrönt.“, sagt Jesus Sirach. „Den Herrn ernst zu nehmen bringt Weisheit in Fülle. Sie beglückt die Menschen mit ihren Früchten, sie füllt die Häuser und Vorratskammern mit allem, was man sich wünschen kann. Die Krone der Weisheit ist es, den Herrn zu ehren; wo sie herrscht, blühen Wohlstand und Gesundheit. Einsicht und Erkenntnis gießt sie aus wie Regen; sie mehrt den Ruhm aller, die sie bewahren. Die Wurzel der Weisheit ist Ehrfurcht vor dem Herrn und ihre Zweige sind ein langes Leben.“
So soll es sein. Amen.