Gott macht Dampf
Predigt auf dem Zeigersattel (Nebelhorn) am Weltwassertag
Textgrundlage
Ein Wort in stürmischen Zeiten. Mitten in der friedlichen Schneewelt. Ein Wort in stürmischen Zeiten, die sich nicht leugnen lassen.
Gut zu hören, wenn das Leben hart zulangt,
wenn bröckelt, was gewiss war,
wenn sich wandelt, was bleiben soll.
Solch ein Wort schreibt einer an die Christenmenschen der ersten Stunde. Sie leben in stürmischen Zeiten. Ausgesetzt sind sie Kräften von außen, die die Christ*innen mit ihrem Glauben bedrohen. Ins Wanken bringen. Dieses Wort in stürmischen Zeiten lese ich im Hebräerbrief (Kapitel 10 i.A.):
Wir wollen unbeirrt an der Hoffnung festhalten, zu der wir uns bekennen. Denn Gott, auf dessen Versprechen sie beruht, ist treu. Und wir wollen uns umeinander kümmern und uns gegenseitig zur Liebe und zu guten Taten anspornen. Auch sollen wir unsere Gemeindeversammlungen nicht verlassen, wie es manchen zur Gewohnheit geworden ist. Vielmehr sollen wir uns gegenseitig Mut machen.
Erinnert euch an die früheren Tage, als ihr vom Licht erfüllt worden seid. Damals seid ihr in einem harten Leidenskampfstandhaft geblieben. Werft also eure Zuversicht nicht weg! Sie wird reich belohnt werden. Was ihr jetzt braucht, ist Geduld.
Liebes Schneevolk,
Schnee unter den Füßen, vor Augen oder in der Hand weckt in den meisten Menschen angenehme Gefühle. Letzte Woche habe ich die unterschiedlichsten Menschen in einer Dokumentation gesehen, wie sie von ihren Schneeerlebnissen erzählen:
Ein Grundschüler sagt: Schnee ist schön. Es gibt ein schönes Gefühl im Bauch.
Eine alte Dame sagt, dass sie bei Schnee ihren Rollator braucht. Aber wenn´s zu viel wird, kommt sie nicht weiter mit ihrem Porsche. Sie fragt, warum es eigentlich noch niemand Schneeketten für einen Rollator erfunden hat.
Else ist in Schlesien aufgewachsen. In ihrer Kindheit, und die ist über 70 Jahre her, gab es so viel Schnee, dass man die Häuser dahinter nicht mehr sehen konnte.
Manfred arbeitet bei der Polizei. Er ist dankbar für den Schnee. Er macht die Spurensicherung deutlich einfacher.
Horst dagegen braucht den Schnee nicht. Er arbeitet am Frankfurter Flughafen. Und Schnee bedeutet jede Menge Arbeit.
Lenning stammt aus Kuba. Mit 37 Jahren sieht er zum ersten Mal Schnee. Er hat alles Mögliche mit ihm gemacht. Einen Schneeball har er sich auf seinen dunklen Kopf gesetzt. Eingerieben hat er sich mit dem Schnee und ist davon nicht weiß geworden. Das hat ihn gefreut. Nur irgendwann wurde es ihm kalt.
Fritz ist Jäger. Er weiß, dass Jungtiere beim ersten Schnee erstmal vorsichtig sind. Aber wenn sie die erste Scheu überwunden haben, dann tollen sie herum wie Menschenkinder es auch tun.
Schnee ist schön. Und Schnee ist wichtig. Daran erinnere ich uns am heutigen Weltwassertag. Er wird immer am 22. März begangen. Ausgerufen wird er von den Vereinten Nationen. In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto: „Accelerating Change“: fortschreitender Wandel.
Dass die Welt im Wandel ist, weiß inzwischen jedes Kind. Das hat mit dem Klima zu tun. Klar. Aber das Klima wirkt sich aus. Gestern wurde der Weltgletschertag begangen. Die Gletscher schwinden und verschwinden bald, zumindest in Deutschland ganz.
Durch den Klimawandel verkürzt sich die Schneesaison alle zehn Jahre um 5 Tage.
Dabei ist Schnee so wichtig. Lebenswichtig für alle Lebewesen. Er ist ein enormer Wasserspeicher. Er ist so schwer, dass sich im Winter die Erde langsamer dreht, wenn die Nordhalbkugel zur Hälfte von Schnee bedeckt ist.
Schnee verändert die Temperatur auf der Erde. Er reflektiert 90% der Sonnenstrahlen. Über ihm wird es kalt. Unter ihm nicht. Denn Schnee isoliert. Weil es Schnee gibt, können Pflanzen den Winter besser überstehen, z.B. der Gletscherhahnenfuß. Die vielen Holräume zwischen den Schneekristallen verhindern den permanenten Frost des Bodens. Hätten wir den Schnee nicht, dann wären die Böden ungeschützt der Kälte ausgeliefert. Sie könnten so tief gefrieren, dass sie in bestimmten Gegenden selbst im Sommer nicht mehr auftauen. Hätten wir den Schnee nicht, bliebe das Schmelzwasser aus, das alle Lebewesen brauchen. Und die Landwirte. Dürren und Waldbrände nähmen zu.
Nun sollt ihr heute Mittag nicht den Eindruck bekommen, dass ich mitten im schönen Weiß schwarzmale. Es könnte einem ja tatsächlich die Freude am zauberhaften Weiß vergehen.
Sondern wie es sich für die Jahreszeit, auch die Kirchenjahreszeit, gehört, will ich es Hoffnung schneien lassen. Am letzten Sonntag haben wir in der evangelischen Kirche den Sonntag Lätare begangen. „Freuet euch“, heißt das. Wir nennen den Sonntag auch Klein-Ostern. Die Texte und Lieder des Sonntags haben den Blick schon Richtung Ostern gelenkt. Bei aller Not, bei allem Ächzen aller Kreaturen auf der guten alten Erde, gibt es immer noch Hoffnung. Weil wir Menschen zumindest anders als die Pflanzen und Tiere jeden Tag anders können. Aufstehen gehen das Vergehen. Gegen den fortschreitenden Wandel, der eigentlich meint: fortschreitender Niedergang. Es ist möglich, aufzustehen. Ostern werden zu lassen. Und deshalb kehrt trotz aller Klimanöte heute mitten im Schnee am Weltwassertag Freude bei mir ein.
Denn ich habe in der besagten Dokumentation auch gelernt: Schnee ist nicht einfach Wasser in einem anderen Aggregatzustand als Eis oder fließend Wasser.
Schnee ist gefrorener Wasserdampf, der sich um einen Kristallisationskern bildet. Und der kann so klein wie ein Staubkorn sein.
Diese Erkenntnis trifft auf mein Lebensgefühl, dessen innere Stimme an schlechten Tagen sagt: Ach, ich kleines Menschenkind auf dieser großen Erde mit den vielen kleinen und großen Problemen, ich kann ja gar nichts ausrichten. Ich kleines Menschenkind bin manchmal so allein. So staubkornklein.
Wie wäre es, wenn Gott, der Schöpfer, von dem die Bibel sagt, dass bei ihm die Quelle des Lebens ist, Dampf macht. Oder besser in der Bibelsprache: dass sein Geist aufsteigt und mich kleines Menschenkind oder mein staubkorngroßes Problem oder meine handfeste Trauer umwickelt und mich birgt. Dass ich leben kann, wenn das Leben hart zulangt. Dass ich standhaft bleibe in stürmischen Zeiten. Dass ich aufstehen, dass ich aufblühen kann, wenn der Frost in meiner Seele abgetaut ist. Dass ich wunderschön bin zu allen Zeiten. Und dass Gott, der Schöpfer das auch mit dir und dir und dir tut und wir allesamt wunderschöne Kristalle sind, jedes anders. Und miteinander sind wir fest verbunden wie eine Schneedecke, die sich hält, die nicht erdrückt, sondern so viel Luft lässt zum Atmen. Eine Verbindung, die andere schützt. Eine Verbindung, die aber auch immer wieder ausgeliefert ist: den Naturgewalten, den Gewalten von Menschen bösen Willens. Darum lasst uns aufeinander achthaben und anspornen zur Liebe und zu guten Taten. Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung. Natürlich ist Schnee vergänglich. Doch meine Hoffnung ist, dass ein neuer Frühling kommt. Ein neuer Geist. Der uns so miteinander verbindet, dass wir sagen können: Er sendet Tau und Regen und Sonn- und Mondenschein, er wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein. Und dieser Geist und dieser Segen fügt uns zusammen, dass wir leben können, dass wir uns schützen in der Nähe und in der Ferne, dass wir uns wärmen und wehren gegen den permanenten Frost unter uns Menschen. Wir brauchen einander. Wir brauchen Gottes Geist. Wir brauchen die Taten der Liebe. Jedes Geschöpf braucht die Taten der Liebe zum Leben wie das Wasser, das Eis, den Schnee. Dann können die aufstehen, die daniederliegen. Und wir mit ihnen. Und wir für sie. So sei es.
Amen.