Soli Deo Gloria
Ansprache zur Kantate „Gelobet sei mein Gott“ (BWV 129) von J. S. Bach
Evang.-Luth. Christuskirche Oberstdorf, 30. Juli 2023
Pfarrerin Daniela Ditz-Sievers
Liebe Bachgemeinde, hörende und musizierende!
sdg
„s.d.g.“ Soli deo gloria. Gott allein sei Ehre.
Mit den drei Buchstaben signierte Johann Sebastian Bach viele seiner Werke. Alles, was er schuf, sollte „ad maiorem Dei gloriam“, deutsch „zur größeren Ehre Gottes“ beitragen. Auch mit dem jesuitischen Leitsatz (abgekürzt a.m.d.g.) signierte Bach oft.
Soli deo gloria. In der Kantate „Gelobet sei mein Gott“ hat Bach das mit Bravour in Musik umgesetzt.
In fünf fein abgestimmten Sätzen verarbeitet er die Choralstrophen von Johann Olearius aus dem Jahr 1665, die wir gerade eben im gleichen Wortlaut gesungen haben, aber mit anderer Melodie als nachher.
Wie immer bei Choralkantaten gehören der erste und der letzte Satz dem Chor. Die Strophen dazwischen sind meist in Rezitativen und Arien an Solist:innen und Begleitinstrumente vergeben. In dieser Kantate sind es drei aufeinander folgende Arien für Bass-, Sopran- und Alt-Stimme. Bach komponiert per omnes versus, d.h. durch alle Strophen, ohne den Text zu verändern. Man ist das ja gewohnt, dass Arien freien Text darbieten, indem sie die wichtigen Aussagen der Strophen umkreisen und vertiefen, dafür von der Choralvorgabe abweichen. Bach hebt hervor, was ihm wichtig ist, indem er bestimmten Worten mehr Töne gibt als anderen. Viele Töne für eine Silbe nennt man Melisma oder Koloratur. Also wie bei: „Gloooo-o-o-o-o-oooo-o-o-o-o-oooo-o-o-o-o-ooo-ria“. Achtet nachher einmal darauf, welche Worte Bach für uns besonders herausstellen will.
1.Satz
Der Eingangssatz ist opulent ausgestattet. Holzbläser und Streicher eröffnen das Concerto, Pauken und drei Trompeten setzen sozusagen das Ausrufezeichen hinter jede Phrase: dabadamm. „Marmor, Stein und Eisen bricht“ bringt es nur auf ein müdes dammdamm. Aber Bach: dabadamm. Mit Verve. Dabadamm. So schwungvoll und festlich könnte auch ein siebtes brandenburgisches Konzert anfangen. Und tatsächlich fügt Bach den Choralchor zeilenweise in die italienische Concerto-Form ein. Das hörten die Leute gern, auch in der Kirche, die so zum höfischen Festsaal wurde.
Der cantus firmus, die Liedmelodie, kommt vom Sopran in halben Noten, getragen. Das gibt Stabilität von oben, während es in den Singstimmen darunter nur so wuselt. Zwischendurch erkennt man auch in ihnen immer wieder mal die Liedmelodie.
Die Melodie ist uns vertraut. Wir haben sie in unserm Gesangbuch (BT 643) mit dem Text „So prüfet euch doch selbst, ob ihr im Glauben stehet.“ Bach verwendet sie schon einmal 1724 in der Kantate „Was frag ich nach der Welt“ BWV 94, und ganz großartig in den Ecksätzen dieser Kantate.
Der Orchestersatz ist von der Liedmelodie thematisch losgelöst. Die spielen ihr eigenes Ding. Mit sehr bewegten Spielfiguren in den Violinen und immer als Bekräftigung: Blech und Pauken. Dabadamm. Das macht gute Laune.
Trinität/Textgrundlage
Es ist eine Festmusik, dem Dreieinigkeitsfest gewidmet, das zu Bach´s Zeiten im Kirchenjahreskalender eine wesentliche Rolle spielte. Der zugrundeliegende Choral ehrt die Dreieinigkeit Gottes, mit jeder Strophe eine andere Facette.
Und wie ihr vorher hoffentlich bemerkt habt, ist auch der Choraltext mit Überlegung gedichtet. Die ersten vier Strophen beginnen immer mit der gleichen Zeile, nur ein Wort bricht die Wörtlichkeit.
Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Licht, mein Leben.
Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Heil, mein Leben.
Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Trost, mein Leben.
Dreimal dasselbe, mit je einer kleinen anderen Ausrichtung auf: Licht, Heil, Trost. Schöpfer, Erlöser, Tröster. Vater, Sohn, Geist. Dreieinigkeit.
Daran will ich mich heute mal nicht abarbeiten. Darüber haben sich Generationen von Theologen gestritten. Der Dichter Olearius aber will nicht streiten, sondern loben: die vielen Seiten und Aspekte von Gott, die er für sich als Wohltat empfindet. Ich hab sie gezählt für euch: in den fünf Strophen kommt 24x mein/mir/mich vor, und kein einziges Mal „ich“. Ich tue gar nichts, aber alles geschieht mir zugute. Mein Licht, mein Heil, mein Trost und mein Leben schenkt Gott mir. Und immer können wir nur solche Glaubensaussagen über Gott machen. Denn wie vielfältig oder wie eins Gott in Absolutheit ist – wer weiß das schon? Darum ist die einzig angemessene Rede von der Dreieinigkeit Gottes das Lob seiner vielen Guttaten für mich. Gott ist mehr als drei, ist viel für mich: Licht, Heil, Trost, Leben, Ursprung, Schutz, Löser, Herzerquicker, Kraftspenderin, Rat, Trost, Hilfe, Ewige, alles in einem, vieles für mich. Wer daraus eine Lehre macht, sperrt Gott ein in seine Vorstellung. Die übersteigt Gott allemal. Und dabei ist es Gott wohl genug, wenn er nur eines sein kann – für dich.
2.Satz
Für den Lieddichter Olearius und den Komponisten Bach ist Gott mehr als eins. Das entfalten beide auf ihre Art in der zweiten Strophe. Sie enthält wichtige Aussagen über Christus. Hervorgehoben ist das „Heil“, die „Erlösung“ durch sein „teures Blut“, was einer im Barock verbreiteten Opfervorstellung entspricht.
Bach macht eine Bass-Arie daraus. Er mag dabei an die Vox Christi gedacht haben, also die wörtliche Rede Christi, die er in seinen Werken traditionell mit einem Bass besetzt.
Der musikalische Kontrast zum Eingangschor könnte nicht größer sein. Die Begleitung der Bassstimme durch den Continuobass verdeutlicht die Menschwerdung und Erniedrigung des Gottessohnes.
Die Singstimme hat Gelegenheit zu höchst ausdrucksvoller Melodik. Die Worte „gelobet“, „erlöset“, das „höchste“ und „Glauben“ sind in reichen Melismen vertont. Nicht zu überhören ist der punktierte Rhythmus in beiden Stimmen. Das hat etwas königliches und unterstreicht Christus als Herrscher.
Wenn man möchte, kann man hier schon Hinweise auf die Dreieinigkeit sehen: 3/8Takt, A-Dur mit drei #.
3.Satz
Bei der Heilig-Geist-Strophe im dritten Satz greift Bach tief in den musikalischen Farbtopf. Ein Quartett besetzt mit Sopranstimme, Flöte, Violine solo und Generalbass. Flöte und Geige erzeugen geradezu Luftwirbel mit einer Sogwirkung, die erhebt.
Man kann sich kaum satthören, weil es so vielstimmig leicht ist – und leicht macht. Es geht um den Geist, von dem Herzerquickung und neue Kraft kommen. Ich sehe den Geist geradezu herabschweben wie Federn, die zu Boden sinken; ein Motiv, das Bögen spannt und aus allen Instrumentalstimmen klingt.
Die Sopran-Arie ist der einzige Satz in Moll und dennoch nicht schwer oder traurig. Sie steht im Zentrum der Kantate. Inmitten der Festtagspracht öffnet sie einen Raum, sich innerlich ergreifen und verzücken zu lassen, von einem zarten Geist, der so kraftvoll und verbindend wirkt.
4.Satz
Die dritte Arie gehört der Altstimme. Sie verbreitet eine liedhafte, gelöste, fast tänzerische Fröhlichkeit. Jetzt wird es volltrinitarisch: die drei Personen der Trinität werden gemeinsam in einer sog. Gloria-Patri-Strophe gelobt. Klangschön als Trio von Altstimme, Oboe d´amore und Basso Continuo im 6/8Takt vorgetragen.
Hier schwingt sich der Lobpreis in die Lüfte auf, mitten in den Himmel hinein, um mit allem, was dort schwebet – gemeint sind die Engel – die Heiligkeit Gottes und seine Dreiheit zu preisen.
5.Satz
Bis hierher war der Liedtext ein individuelles Gebet. Er wechselt jetzt zum „wir“ und will uns und die ganze Christenheit mitnehmen in das immer größere Lob, das die Strophe diesmal nicht einleitet, sondern abschließt.
Der letzte Satz ist nicht wie gewöhnlich ein schlichter vierstimmiger Choralsatz. Wie es sich für eine Festmusik gehört, setzt Bach einen prächtigen Schlusspunkt: von Blechbläser- und Orchesterfanfaren durchsetzt, in der Art, wie Bach das Weihnachtsoratorium beschließt. (Und ich meine immer es zu hören.) Das passt zur Aussage der Strophe, die das klingen und singen thematisiert.
Die Trompeten haben diesmal die thematische Führung und verleihen der Kantate den glanzvollen Abschluss. Die Singstimmen sind homophon in das Orchesterspiel eingewoben. Es ist, als ob himmlische und irdische Heerscharen ein großes Sanctus anstimmten. Das ist Musik, die das Gemüt „rekreiert“ und Gott lobt, wie es die Absicht des Komponisten war. Ein in alle Richtungen entfaltetes s.d.g.
Zumutung: Salz sein, Licht sein
Und auch wir können etwas beitragen „ad maiorem Dei gloriam“. Jesus Christus sagt uns, wie wir das Lob Gottes vermehren: Euer Licht soll vor den Menschen leuchten. Sie sollen eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Als Salz und Licht gute Taten hervorbringen- und sich nicht verstecken. Leuchtmittel sein. Würzmittel sein. Das traut Jesus seinen Leuten zu. Und die, zu denen er es zuerst gesagt hat, waren nicht die klügsten und einflussreichsten oder musikalischsten im Land. Es waren Fischer, Zöllner, stadtbekannte Sünder, Frauen mit zweifelhaftem Ruf, Kranke, Leidtragende, Sinnhungrige. Solche wie wir. Jesus sagt: Es steckt die Kraft in euch, eine gute, unverzichtbare Wirkung in eurer Umgebung zu hinterlassen – dieser Welt einen anderen Geschmack, eine Orientierung zu geben. Den Blick für das Himmelreich zu öffnen – das schmeckt nach Frieden und Gerechtigkeit, die wichtigsten Säulen des Gemeinwohls. Wenn wir dafür keine Verantwortung übernehmen – wer soll es denn dann tun?
Also verbergt euch nicht! Versteckt euren Glauben und euer Vertrauen nicht! Alle sollen sehen, wie fröhlich, hilfsbereit, zugewandt Christ:innen sind. Wenn heute viele die Kirche verlassen, mauert euch nicht ein! Geht hinaus, lebt als sichtbare Christ:innen! Seid nützlich in schwierigen Fragen. Während – inzwischen viele – sich immer mehr auch aus dem Engagement für die Gesellschaft zurückziehen, setzt euch ein für das gute Zusammenleben der Menschen in eurer Gemeinde, eurer Stadt, in der Welt. An eurem Würzen und Leuchten entscheidet sich für manche der Wert des Glaubens, ob sie diesem Vater im Himmel vertrauen und ihn loben – oder nicht.
Haltungs- und Handlungsmaxime: Lob vermehren
Soli Deo Gloria ist für mich ein wichtiges Korrektiv. Wenn ich es mir als Frage stelle, bevor ich mir eine Meinung bilde oder eine Aktion ausdenke. Bevor ich eine Bemerkung raushaue – oder auch erst nachdem mir der Seitenhieb entwischt ist. Wozu dient das Ganze? Soli deo gloria?
Diese Haltung, die manchmal auch mein Schweigen fordert, macht nicht mich klein, sondern Gott groß. Es lässt doch auf einen großen Geber schließen, wenn ich seine Gaben entfalte, wenn ich mich mit meinen Fähigkeiten aktiv einbringe, und mich freue, im Zusammenwirken – auch der anderen – vielen Talente eine lebendige und vielfältige Gemeinde zu bauen. Wenn wir im Bewusstsein leben „Gott allein die Ehre“, schauen wir nicht darauf, wer mehr einbringt, oder wer öfter vorn dran steht oder wer die zündenden Ideen hat. Das würde uns nämlich klein machen – und Gott auch. Einander die Gaben, den Auftritt, das Lob von Herzen gönnen, macht Gott groß und lässt auch uns wachsen – innerlich und sicher auch wieder in Zahlen. Weil man uns anmerkt, dass wir gönnen können. Und jedes gibt seines dazu! Und sei es eine Prise.
Die Menschen sollen eure guten Taten sehen
und euren Vater im Himmel preisen.
So sei es. Amen.