Vlastimil Hofman: Krippenspiel
Hinführung
Auf der Zielgerade der Adventszeit reihen wir uns heute Nachmittag ein in die lange Tradition, Weihnachten zu inszenieren. Zu meiner Kindheit gehörte der Besuch des Weihnachtsmärchens im Theater zum Advent so selbstverständlich dazu wie der Adventskranz und Zimtsterne. Intendanten erklären die Inszenierung eines Weihnachtsmärchens zur Chefsache. Schauspieler*innen reißen sich um die Rollen im Weihnachtsmärchen. Denn Kinder sind das beste Publikum. Ob Froschkönig oder Schneewittchen: der Boom ist ungebrochen in deutschen Theatern. Man will etwas davon erzählen und hören in der dunklen Jahreszeit und in diesen verstörenden Zeiten, dass das Glück noch zu finden ist. Von der Sehnsucht nach Liebe. Von Menschen guten Willens. Geschichten mit Happy End. Und manchmal helfen auf unglaubliche Weise Engel, Feen oder Elfen mit, dass alles gut wird. Vier Tage vor Weihnachten tauchen wir ein in diese Welt. Mit der Geschichte der Geschichten vom Happy Beginning. Wir tauchen ein in die Welt des Malers Vlastimil Hofmann. Volkstümlich ist er. Seine Motive idyllisch. Märchenhaft. Aber ohne Kitsch. Aus seinen Bildern spricht Melancholie, manchmal auch Traurigkeit. Zärtlichkeit spricht aus seinen Bildern und eine wohltuende Ruhe. Was Vlastimil Hofman malt, scheint eine Fantasiewelt zu sein. Die Bilder voller Faunkinder, Engelskinder, Kinder mit Schmetterlingsflügeln oder Libellen in Verkleidung und Blumenkränzen im Haar. Die Fantasiewelt trifft auf die Lebenswelt der Menschen, die in die Bilder eintauchen. Und die Menschen sind dann tief berührt. Wie beim Besuch eines Weihnachtsmärchens oder Krippenspiels.
Vlastimil Hofmann wird 1881 in Prag als Sohn einer polnischen Mutter und eines tschechischen Vaters geboren. Er studiert an der Hochschule für Bildende Künste in Krakau. Zwischen 1899 und 1902 studiert er an der Schule der schönen Künste in Paris.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs veranlasst Hofman, nach Prag zu ziehen und bei seinem Cousin Ludwik Hammer zu leben. Vlastimil verliebt sich in Ludwiks Frau Ada und heiratet sie später auch.
Die Kriegsjahre und die Nachkriegszeit sind für die beiden schwierig. 1919 müssen die Hofmans nach Paris ausreisen. Ein Jahr später kehren sie nach Krakau zurück.
Bis 1939 stellt Hofman regelmäßig in Polen und im Ausland aus, seine Kunst bleibt jedoch traditionell und zunehmend konservativer.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ist ein wichtiger Wendepunkt im Werk des Malers. Weil Ada Jüdin ist, flieht das Paar über die Sowjetunion und die Türkei nach Palästina. > Sie kehren erst 1946 nach Polen zurück. Obwohl Hofman im Exil über 200 Werke malt, stößt seine erste Nachkriegsausstellung in Polen auf enorme Kritik, die den Künstler stark trifft. Ein befreundeter Dichter überredet die Hofmans, nach Szklarska Poręba (deutsch: Schreiberhau) ins Riesengebirge zu gehen: „Sie werden sehen, wie schön dieses Land ist, Sie werden dort Ihr Zuhause und Ihren Frieden zurückgewinnen. Sie werden Ihre Sorgen los.“ Der Dichter hatte überhaupt nicht Unrecht. Hofman sagte über sein Leben in Szklarska Poręba: „(…) hier leben, weit weg von der Welt, zwischen Felsen, Wäldern und Bergen. Erst jetzt kann ich die heilsame Wirkung der Natur auf den menschlichen Geist voll und ganz erkennen.“
Wlastimil Hofman stirbt am 6. März 1970 im Alter von 89 Jahren.
Und wir begeben uns nun in irgendeinen Stall, vermutlich im Riesengebirge, und betrachten ein außergewöhnliches Krippenspiel.
Musik
Bildbetrachtung
Krippenspiel. Eines der besonderen Art. Keines, wie es am Sonntag in den Kirchen zu sehen sein wird.
Vier Kinder. Ein Engel. Huhn und Hase. Das ist alles. Das geschulte Auge vermisst Ochs und Esel. Und natürlich die Kindsmutter Maria nebst ihrem anvertrauten Josef.
Also alles ganz anders. Immerhin blicken wir in einen Stall. Er ist nach hinten abgegrenzt durch eine schmutzige, hellgraue Rückwand. Ein dunkelblauer Schutzanstrich erzeugt die Vorstellung einer hoch gezogenen Horizontlinie.
In der linken oberen Ecke befinden sich drei über einander angeordnete Spinnennetze. Die sie gesponnen haben, scheinen unterwegs zu sein.
Eine einsame Hühnerfeder liegt im Vordergrund am Boden. Ihre Besitzerin ist nicht fern. Der Maler hat wirklich eine Momentaufnahme gemacht. Typisch für ein Huhn hebt es ein Bein leicht an.
Und auch der weiße Hase gesellt sich zum Krippenspiel. Wenn schon also nicht Ochs und Esel, so zeugen wenigstens Huhn und Hase vom bäuerlichen Milieu.
In diese Welt gehören die vier Kinder. Das größte und vermutlich älteste steht rechts. Ein längerer Holzpfosten mit einer nach innen aufgehaltenen Tür dient ihm als Stütze.
Der Junge blickt wie auch die anderen drei Kinder still auf ein zumindest am Oberkörper nacktes Kleinkind. Es mag vielleicht ein Jahr alt sein. Es sitzt in einem Futtertrog. Allein schon durch seine nackte Haut ist es hell und strahlt förmlich in der Mitte des Bildes. Es ist das einzige Kind, das in unsere Richtung schaut. Aber wie. Ernst. Und versonnen. Beinahe traurig wirken diese großen dunkelbraunen Kulleraugen. Der Blick geht ins Leere. Trifft unsere Blicke nicht. Das Kind lehnt sich mit einem Arm auf den Rand des Futtertroges. Mit einem Finger scheint es bewusst nach unten zu zeigen.
Eigenartigerweise ist direkt hinter ihm ein Holzgitter an der Wand schief aufgehängt. Die zwölf Sprossen verstärken die Kopfneigung des Kindes. Das Gitter ist sorgfältig mit einer Schnur an der Decke befestigt. Es hängt über der Mitte und der Horizontlinie, quasi zwischen Himmel und Erde. Und seine oberste Querstrebe zeigt direkt auf die Stirn der > Engelsfigur.
Anders als die Kinder sitzt die erhöht und verbindet Oben und Unten, Himmel und Erde. Der Engel sitzt mit überkreuzten Füßen auf einer langenbraunen Stoffbahn, die vom Trog bis zum Boden herunterfällt. Er trägt ein Gewand mit kostbaren Ornamenten, mit Kordel und blauem Überwurf. Der Engel wendet sich dem Kind im Trog zu. Ist im Begriff, ihm eine > rote Blume zu reichen. Die ist zwar schon ein wenig zerfleddert, aber immerhin. Sein Flügel ist grün: ein wohltuender Kontrast zur dunklen Sense, dem Todessymbol, links daneben.
Vielleicht ist dieser Engel in Wahrheit ein verkleidetes Kind, betucht mit allem, was die Mottenkiste auf dem Hof so hergibt. Allerdings wirken die anderen Kinder nicht, als hätten sie sich verkleidet und wären vom Maler nur beim angeregten Spielen einer fremden Rolle festgehalten worden. Die Kinder wirken echt. Echt in diesem außerordentlichen Moment der Stille, so kurz wie das Anheben eines Hühnerfußes.
Aus drei verschiedenen Positionen betrachten die Kinder das Besondere dieses Moments. Das violett gekleidete Kind hat sich auf den hängenden Futtertrog aufgestützt. Es klammert sich beinahe daran.
Das Kind rechts daneben trägt eine Pelzjacke. Es sitzt mit untergelegtem Fuß auf einem umgedrehten viereckigen Bottich. Sein anderer Fuß berührt den strohbedeckten Boden. Links hinter und unter seiner Sohle liegt wohl seine Mütze.
Die drei Kinder schauen mit dem Engel gebannt auf das kleine Kind. So, wie die Kinder außerhalb des Trogs gekleidet sind, frage ich mich, wie das Kind im Trog nackt sein kann. Warm wirkt die Szene nicht. Und wie ist das Kleinkind überhaupt in den Trog hineingeraten. Der Gesichtsausdruck des Kleinkindes ist also nachvollziehbar. Es ist ihm nicht wohl. Die ganze Sache da im Trog ist ihm nicht geheuer. Und es könnte sein, dass die ganze Szene schon im nächsten Moment kippt und dem Kind Tränen über seine dicken Wangen kullern. Und dann kommt der Ruf nach der Mutter. Was machen die Kinder vor dem Trog dann? Und wird eine Blume das Spiel retten?
Musik
Die Symbolik
Ein Krippenspiel. Ein Kinderspiel. Eines voller Symbolik. Eines, das in die Reihe der Weihnachtsmärchen und –legenden passt. Denn es hat alles in sich, was das Leben mit sich bringt. Dieses nackte Kind, das gerade gewahr wird, wie ausgesetzt es ist. Vater- und mutterseelenallein. Ausgesetzt der Kälte. Den Blicken. Und irgendwann auch dem Tod – wie jedes Menschenleben. Die Sense steht dafür. Und auch die drei Strahlen, die aus dem Kopf des Kindes hervorgehen. Verlängert man sie zur Mitte und weiter nach unten, dann entsteht ein Kreuz. Die überkreuzten Füße des Engels erinnern an die typische Darstellung Jesu am Kreuz. Vlastimil Hofman weiß, wie das Leben ist. Er kennt die Not, er kennt den Tod nach dem Ersten Weltkrieg. Aber Hofman kennt eben auch die Sehnsucht nach Glück. Und er besitzt das volkstümliche Gottvertrauen. Auch davon erzählt sein Bild.
Angefangen bei den drei Spinnennetzen. Ob sie tatsächlich von Hofman mit tieferem Sinn gemalt wurden, weiß ich nicht. Aber denkbar ist schon, dass er als gebürtiger Prager einen ukrainischen Weihnachtsbrauch kennt. Dort darf ein Spinnennetz am Weihnachtsbaum auf gar keinen Fall fehlen. Der Brauch geht auf eine alte Geschichte zurück. Sie erzählt von einer alten, armen Frau, die Güte in Person. Am Abend vor Weihnachten hatte sie ihren Baum immer noch nicht geschmückt. Sie konnte sich einfach keinen Schmuck für ihren Baum leisten. So ging sie schlafen, traurig darüber, wie kahl und stumpf der Weihnachtsbaum in ihrer kleinen Stube aussah. Doch als sie am nächsten Morgen aufwachte, traute sie ihren Augen kaum. Ihr trister schmuckloser Baum, glänzte und funkelte plötzlich an jeder seiner Nadeln. Jeder Zweig war mit feinen Spinnenweben überzogen, die silbern um die Wette schienen und durch das reflektierende Licht wie Glasperlen und Seidenfäden zu wirken schienen. Die Frau war überglücklich und erzählte jedem in ihrem Dorf von dem Wunder. Die Leute kamen zu ihr, um den von Spinnen gewebten Weihnachtsschmuck mit eigenen Augen zu sehen. Jeder brachte Speisen und Getränke mit und so kam es, dass sich das ganze Dorf bei der armen Frau versammelte und sie gemeinsam ein großes Weihnachtsfest feierten. Das Glück kehrt auch beim Ärmsten ein. Das ist die Mär´ von der G´schicht.
Eine andere, ganz profane Mär´ erzählen die zwei Tiere. Der Hase hoppelt sich schon seit der Antike durch die Kunstgeschichte. Gilt bei Titian sogar als Zeichen für die Mariens unbefleckte Empfängnis. Er gilt aber auch als pazifistisches Tier. Wird er gejagt, schlägt er die flinke Flucht ein und produziert möglichst viele Nachkommen, um das eigene Überleben zu sichern. Er ist deshalb nicht totzukriegen. Was für eine Botschaft an die Christenheit. Für Nachkommen sorgen, also natürlich im übertragenen Sinne: Machet zu Jüngern alle Völker. So hat es Jesus gesagt. Und so ist´s gemeint. Der Hase ist das Tier, das im Frühling als erstes Nachwuchs auf die Welt bringt. Und so ist dieses Krippenspiel beinahe ein österliches. Wie die ganze Szene auch eher eine frühlingshafte, denn eine winterliche ist. Jochen Klepper hat einmal zu Weihnachten gedichtet: Du Kind, zu dieser heilgen Zeit / gedenken wir auch an dein Leid, / das wir zu dieser späten Nacht / durch unsre Schuld auf dich gebracht. / Wenn wir mit dir einst auferstehn / und dich von Angesichte sehn, / dann erst ist ohne Bitterkeit / das Herz uns zum Gesange weit.
Und zwischen Geburt und Auferstehung erlebt das großgewordene Weihnachtskind, wie ausgesetzt und bloß es ist. Wie die Menschen bis auf den heutigen Tag, die sich sehnen danach, dass jemand sie unter ihre Fittiche nimmt und sie behütet leben können. Eines Tages hält Jesus nicht mehr still und klagt Jerusalem an. Stellvertretend für die Menschen, die sich von seinem weiten Herzen nicht bewegen lassen. „Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!“
Musik
Deutung
Dieses Krippenspiel ist ein Kinderspiel. Es zeigt auf eindrückliche Weise, dass das Leben kein Kinderspiel ist. Vom ersten bis zum letzten Atemzug nicht. Damit es aber leicht wird, Glück die Lebetage benetzt, braucht es die Mithilfe irdischer und himmlischer Kräfte.
Es braucht die Kräfte, die auf ein Menschenleben acht geben. Die sehen, wenn einem Menschen das Leben nicht geheuer erscheint. Und dann auch handeln. So kurz dieser Moment ist, den Vlastimil Hofman festgehalten hat, so flugs kann auch eines der Kinder im nächsten Augenblick in den Trog hupfen, das Kind herausheben. Trösten. Wärmen. Kleiden.
Es braucht die Kräfte, die ein Menschenleben betrachten und ehren, egal, wie dieses Menschenleben verläuft, wieviel gelingt oder misslingt, selbst- oder fremdverschuldet. Die rote Blume steht für diese Ehrerbietung. Und ich denke an Paul Gerhardt, der dichtet: „Nehmt weg das Stroh, nehmt weg das Heu, ich will mir Blumen holen, dass meines Heilands Lager sei auf lieblichen Violen; mit Rosen, Nelken, Rosmarin aus schönen Gärten will ich ihn von oben her bestreuen.“
Es braucht die Kräfte, die das Leben richten, auf und her, wenn es schief und krumm ist. Das Holzgitter könnte ja auch gerade hängen. Tut es aber nicht. Und das vielleicht mit voller Absicht. Weil es in jedem Leben schiefe, krumme Bahnen gibt. Und weil nicht jeder Mensch die Kraft hat, das Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Dann braucht es die Kräfte des Himmels. Das schief hängende Holzgitter, das ja direkt auf den Engel zeigt, erinnert mich an einem jüdischen Brauch. Fromme Juden hängen ein kleines Kästchen an ihrer Haustür auf. Mesusa genannt. Darin befindet sich ein Bibelvers auf Hebräisch. Das Kästchen hängen die Juden bewusst richtig schief auf. Der Haussegen hängt schief. Das soll heißen: Nur Gott macht alle Dinge ganz richtig, also gerade. Nur bei Gott läuft nichts schief. Wir Menschen sind nicht perfekt und sollen auch nicht versuchen, es zu sein. Ich finde das sehr entlastend. Genauso wie die Verheißung, die beim Propheten ausgesprochen ist über diese Welt, in die Gott einzieht: Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat’s geredet. Wenn er aber kommt dieser Gott, wie werde ich ihn empfangen: mit Sehnsucht? Mit Blumen? Mit Haseneile, um Wege zu ebnen? Mit Daunenwärme, um ein banges Herz zu bergen?
Lied: 11, 1.3.5.7 Wie soll ich dich empfangen
Vaterunser
Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Segen
Der Gott und Vater Jesu Christi segne und behüte euch.
Er lege euch seinen Sohn ans Herz und mache euer Leben menschlich.
Er lasse sein Licht leuchten über euch und erwärme euch mit seiner Liebe.
Er fülle eure Häuser und Familien mit seinem Frieden.
So gehet hin in die Weihnacht hinein
im Namen des + Vaters
und des Sohnes
und des Heiligen Geistes.
Amen.
Musik