Alpenkönig

Alpenkönig

Berggottesdienst am 31. Juli 2024 auf dem Söllereck / Oberstdorf

Lesung: Matthäus 7 (i.A.)

Ein gutes Wort von Jesus für alle, die sich schwer damit tun, menschenfreundlich zu sein und zu bleiben, wenn es untereinander menschelt. Hört aus Jesu Bergpredigt:

»Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde.
Behandelt andere Menschen genauso, wie ihr selbst behandelt werden wollt.
Tut Gutes (…), ohne etwas dafür zu erhoffen.
Dann werdet ihr großen Lohn erhalten und Kinder des Höchsten sein.
Seid barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist.
Ihr sollt andere nicht verurteilen, dann wird auch Gott euch nicht verurteilen.
Sitzt über niemanden zu Gericht, dann wird Gott auch über euch nicht zu Gericht sitzen.
Vergebt anderen, dann wird Gott auch euch vergeben.
Schenkt, dann wird Gott auch euch beschenken: Ein gutes Maß wird euch in den Schoß geschüttet –
festgedrückt, geschüttelt und voll bis an den Rand. Denn der Maßstab, den ihr an andere anlegt, wird auch für euch gelten.«

Märchen: „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ von Ferdinand Raimund

Predigt

Sophie ist die Liebe in Person. Immer ausgleichend. Voller Sanftmut. Und Geduld. Man sieht es ihr nicht an: aber sie hat ein dickes Fell. Und das braucht sie auch: denn sie hat den Feind im eigenen Haus. Ihren Gatten. Herr von Rappelkopf. Er ist ein echter Menschenhasser vor dem Herrn. Nichts und niemand ist vor seinen Launen sicher. Alles nimmt er persönlich. Nichts kann man ihm recht machen.

Egal, wie schlimm ihr Mann es treibt: Sophie antwortet immer liebevoll. Und das unterscheidet sie wohl von ihren Vorgängerinnen. Sophie ist Ehefrau Nummer Vier.

Sophie spielt in der Championsleague der Liebe. Sie beherrscht die Feindesliebe. Sie lebt und liebt nach dem Motto: „Sei reizend zu deinen Feinden. Nichts ärgert sie mehr.“ Das Wort „Feind“ kommt übrigens aus dem Althochdeutschen und bedeutete ursprünglich „Hass“.

Sophie lässt sich nicht hinreißen zum Hass. Im Gegenteil: Herr von Rappelkopf will Krawall und Sophie macht einfach keinen. Das kann einen Krawallmacher schon auf die Palme jagen. Oder der schlägt nur umso mehr um sich.

In älteren Texten, auch in der Bibel, steht der Begriff „Feind“ oft auch für den Teufel. Und der steht für alle Kräfte, die eine Freude daran haben, Störfeuer zu entzünden oder Steine in den Weg zu legen, wo sich die Liebe zwischen Menschen anbahnt. Wo Freude aufkommt. Wo der Friede wohnt.

Herrn von Rappelkopfs Tochter Amalie kann ein Klagelied davon singen. Ihr August, den sie liebt, ist dem Herrn Papa nicht genehm. Weil: August ist Maler, also brotloser Künstler, und das geht gar nicht für Rappelkopf. Also trifft Amalie ihren August heimlich – im Wald.

In Amalies Klagelied stimmt auch die gesamte Dienerschaft des Haustyrannen mit ein. Sie wäre schon längst über alle Berge, wenn Sophie der Belegschaft nicht Schmerzensgeld zahlen würde.

Auch Rappelkopfs Diener Habakuk stimmt sein Lamento an. Eines Tages will er in den Garten hinaus, um Salat zu stechen und geht mit einem Küchenmesser in der Hand durchs Gartenzimmer, in dem sich der Hausherr gerade befindet. Als der das Messer sieht, tickt er völlig aus. Er glaubt, sein Diener wolle ihn erstechen. „Aber die gnädige Frau braucht doch Salat“, stammelt der Diener. Hilft aber nichts. Im Glauben, seine eigene Frau wolle ihn ermorden lassen, prügelt Herr von Rappelkopf den Diener zur Tür hinaus, steckt Geld in die Tasche und flieht dann in den Wald.

Der Wald scheint ein guter Zufluchtsort zu sein. Für Liebende wie für flüchtende Tyrannen. Waldluft ist gesund. Terpene haben eine entspannende, beruhigende oder erhebende Wirkung und können Stimmungen beeinflussen. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Aber davon hat Ferdinand Raimund wahrscheinlich noch nichts gewusst, als er 1828 dieses komödiantische Märchen geschrieben hat. Aber er hat etwas davon gewusst, dass Menschen eine Sehnsucht haben oder mehrere. Und dass es guttut, für eine Zeitlang Menschen, Lebensumstände oder Bindungen zu entfliehen, die einem nicht gut tun. Viele gehen deshalb bis auf den heutigen Tag in Urlaub. Zur Kur. Und gern auch in den Wald.

Zu Ferdinand Raimunds Zeit hat man eher geglaubt, dass der Wald einen Menschen verändert, weil es dort Geister oder Waldgötter gibt. Ferdinand Raimund nennt seinen Geist „Alpenkönig“. Der begegnet Amalie und August und verspricht, ihrer Liebe den Weg durch Dornen zu bahnen.
Der Alpenkönig begegnet auch Herrn von Rappelkopf und legt sich mächtig ins Zeug, um den notorischen Menschenhasser zum Guten zu verändern. Also zu einem Menschenfreund, was angesichts der Ausgangslage schon sehr optimistisch ist.

Der Alpenkönig lässt dem Rappelkopf zunächst in der Nacht dessen drei verstorbenen Ehefrauen als Geister erscheinen. Rappelkopf beschuldigt sie, dass sie „aus Bosheit“ gestorben seien, um ihm zu schaden. Wahrscheinlich sind sie eher am Tyrann gescheitert und aus Gram gestorben. Wie auch immer: nach dieser Nacht verspricht Rappelkopf voller Angst sich zu ändern. Aber was sind denn schon Worte aus dem Mund eines Tyrannen…

Für diese Spezies braucht es ein stärkeres Mittel, damit die Veränderung auch nachhält. Darum hält der Alpenkönig dem Rappelkopf den Spiegel vor. Dazu schlüpft der Alpenkönig in die Rolle von Rappelkopf. Und der Tyrann kommt sich selber besuchen in der Gestalt seines Schwagers Herr von Silberkern.
Der falsche Rappelkopf treibt es toll und der echte Rappelkopf findet, dass der falsche vollkommen übertreibt. Und dass er doch gar nicht so schlimm ist. Der falsche Rappelkopf treibt das Schauspiel auf die Spitze: Er wirft seiner Frau vor, ihn vergiften zu wollen, sagt sich von Frau und Tochter los. Und das ist jetzt für den echten Rappelkopf endgültig zu viel. Er bekommt den Rappel im Kopf und fordert den falschen zum Duell.
Gerade noch rechtzeitig bemerkt der echte Rappelkopf, dass das keine so gute Idee ist, denn wenn´s dumm läuft würde er sich ja selber erschießen. Und dann wären ja alle froh. Duell geht also gar nicht.

Also kommt es dann nach einigen Schleifen doch noch zu einem Ende, wie es sich für ein Märchen gehört. Rappelkopf versöhnt sich mit Frau und Tochter. Er willigt in die Hochzeit von Amalie und August ein. Worauf die beiden Liebenden dem Alpenkönig aus lauter Dank vor die Füße fallen.

Ach, denke ich: Die Welt hat so viele Rappelköpfe. Gute-Laune-Verderber, Liebes-Töter, Störenfriede und Friedensstörer. Und sicher gehören du und ich immer wieder auch dazu.

Darum ist es gut, immer wieder mal in den Spiegel zu schauen. Sich die Worte Jesu wieder zu Herzen zu nehmen. Und so zu leben wie Sophie, die Gute. Die Botschaft ist ganz einfach: nur weil ein anderer Mensch lebens-friedens-liebes-feindlich ist, muss ich es ja noch lange nicht sein. Wenn ich es denn schaffe, mich nicht dem niederen Instinkt eines „Wie-du-mir-so-ich dir“ hinzugeben, dann ist das großes Kino. Dann spiele ich in der Champions-League der Liebe.

Denn leicht ist das beileibe nicht. Es ist sogar unerträglich, mit Tyrannen umzugehen. Mit Menschen, die sich in den Mittelpunkt stellen. Die Falsches behaupten. Oder schlicht ständig mies gelaunt sind und ihre Laune an anderen auslassen.

Ich muss mir auch nicht alles gefallen lassen. Darf auch zeigen, dass es Grenzen gibt. Liebe üben heißt ja nicht, alles gut zu heißen.

Bevor ich selber rappelig im Kopf werde, könnte ich zum Beispiel in den Wald gehen. Durchatmen. Und mich einem guten Geist aussetzen. Ich glaube, dass es den Alpenkönig immer noch gibt. Mit seiner Macht, Menschen zu verändern, die schwierigen wie die, die mit ihnen umgehen. Mit seinem langen Atem, mit dem er sich für das Gute einsetzt. Und das Gute ist in diesem Fall das, was Menschen zueinander führt, auf dass sie sich aneinander freuen, dass sie Lust haben miteinander zu leben und so der Liebe und dem Frieden dienen.

Im Märchen von Ferdinand Raimund trägt der Alpenkönig übrigens den Namen „Astragalus“. Ich mag diesen Namen sehr. „Astragalus“ ist der alte lateinische Name für das Sprungbein, für das Sprungelenk in unseren Füßen. Es verbindet Fuß und Bein. Hilft uns auf die Sprünge. Das ist mir eine schöne Vorstellung: Gott, mein Sprungbein. Mein Auf-Die-Sprünge-Helfer.

Der Alpenkönig hat Vieles gemein mit dem, wie ich Gott glaube. Der hat seine Geistkraft in einen Menschen gelegt, damit er uns auf die Sprünge hilft: Jesus Christus. Indem ich auf ihn höre, auf ihn schaue, mach ich mich für diese Welt schön.

Der Apostel Paulus hat einmal gesagt: Wir alle sehen in Christus mit unverhülltem Gesicht die Herrlichkeit Gottes wie in einem Spiegel. Dabei werden wir selbst in das Spiegelbild verwandelt und bekommen mehr und mehr Anteil an der göttlichen Herrlichkeit. Das bewirkt Gott durch seinen Geist.

Das wäre doch ein schönes Ziel und jede Mühe wert: Anteil haben an Gottes Herrlichkeit. Die Welt herrlich machen. Nicht die Laune vermiesen lassen, nicht miesepetern, sondern sich und den anderen die Welt schön lieben.

Und für das Ende meiner Tage stelle ich mir vor, ich könnte lebenssatt den größten Feind meines Lebens, den Tod, willkommen heißen. Dass ich „Bruder Tod“ sagen kann, wie Franz von Assisi.

Und ich stelle mir vor, dass mir mein Gott dann den Spiegel vorhält und ich erkenne, wer und wie ich wirklich war. Vielleicht erkenne ich mich selbst nicht wieder. Schäme ich mich für etwas, das ich gesagt oder nicht gesagt habe, getan oder nicht getan habe. Vielleicht sind mir meine Launen leid. Vielleicht kann ich diesen Menschen da im Spiegel gar nicht nicht leiden.
Ich glaube aber, dass Gott sich mit mir versöhnt, damit ich ewig leben kann. Und das meint: nicht verloren, sondern aufgehoben in seiner weiten Liebe, die größer und weiter ist als alles menschliche Denken und Vollbringen. Amen.

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