Löschzwerge
Berggottesdienst am 25. Oktober 2023 auf dem Fellhorn
Autor: Roland Sievers
Bibeltext: Matthäus 25, 1-13 (Luther 2017)
Das Himmelreich gleicht zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und hinausgingen, dem Bräutigam entgegen.
Aber fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug.
Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.
Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.
Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt!
Geht hinaus, ihm entgegen!
Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.
Die törichten aber sprachen zu den klugen:
Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.
Da antworteten die klugen und sprachen:
Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein;
geht aber zu den Händlern und kauft für euch selbst.
Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam;
und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.
Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf!
Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.
Predigt
Der Countdown läuft. Auf der linken Spur stehen die Löschzwerge bereit. Auf der rechten das Team „Bier statt Training“. Es startet eine Minute nach den Zwergen.
Die zappeln und zuppeln an sich herum.
Prüfen gegenseitig ihre Ausrüstung.
An die 30 kg schwer.
Ein letztes Selfie.
Dann die Sauerstoffmaske aufgesetzt.
Helm auf.
Und das Atemschutzgerät auf dem Rücken gegenseitig kontrolliert.
Die Maske läuft an. Der Countdown runter. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. Und los geht es für die Löschzwerge. Wie alle anderen Teams auch zu zweit.
Sie sind aufeinander angewiesen.
Sie müssen gemeinsam das Ziel erreichen: den Schanzenturm der Heini-Klopfer-Skisprungschanze beim 1. Internationalen Schanzenlauf von Feuerwehrfrauen und Männern, für den sich die Zweier-Teams einen Namen frei wählen konnten. Nach 1040 Treppenstufen, die nach oben hin immer höher werden, haben sie es geschafft. Ganz fies: kurz vor dem Ziel, bei den Startluken der Skispringer, sind die Treppen doppelt so hoch. Die gehen den Löschzwergen bis zur Hüfte. Und endgültig an die Substanz. Denn da haben sie schon 160 Höhenmeter unter sich. Eine Steigung überwunden, die mehr als 81% beträgt.
Die Teams kommen nur in die Wertung, wenn der Abstand zwischen beiden Zwergen am Übergang vom Aufsprunghügel zum Schanzentisch und auf den letzten 50 Stufen vor dem Ziel nicht größer ist als eine Armlänge. Wenn nicht zwischendurch ein unangenehmes Piepsen signalisiert hat, dass sie keine Luft zum Atmen mehr in der Sauerstoffflasche haben.
Und sich dann auch nicht beim Partner Luft geschnappt haben.
Sie werden nur gewertet, wenn sie für den Aufstieg bis zum Schanzentisch nicht länger als 30 Minuten gebraucht haben.
Wenn sie weder die Ausrüstung des Partners getragen haben, noch den Partner selbst. Ziehen und Schieben ist erlaubt.
Und wenn sie sich nicht zwischendurch ihrer Ausrüstung oder Teilen davon entledigt haben.
Irgendwas ging bei den Löschzwergen schief. Sie wurden disqualifiziert, sind aber mit 31 anderen Teams in guter Gesellschaft.
Ihr Trost: die famose Aussicht vom Schanzenturm. Und sie waren mit ihren 22:01 Minuten schneller als die Teams „Hof der Qualen“, die „Nordlichter“, die „Oberlinder Treppentrampler“ oder die „Feuerwehr Raschel Abteilung Adipositas“. Gewonnen haben übrigens Clemens und Leonhard Schenk von der Feuerwehr Oberjoch in unglaublichen 10:27 Min.. Und selbst mit „Bier statt Training“ erreicht man noch den 7. Platz in 12:58 Minuten. Das sind Aussichten für alle Bewegungsmuffel.
Ihr merkt: Ich bin immer noch beeindruckt. Und am Samstag mit einem ziemlich guten Gefühl von der Schanze abgezogen. Die Frauen und Männer sind so fit. Sind bereit sich zu quälen. In der Freizeit. Wie viel mehr erst im Ernstfall. Für dich und mich. Wie gut sind sie vorbereitet durch zahlreiche Übungen und durch Einsätze, durch die sie Erfahrung sammeln, in der Kameradschaft aneinander wachsen. Vertrauen lernen. Wie gut haben sie ihre Ausrüstung vorbereitet. Damit alles passt, wenn der Ernstfall eintritt. Die Sirene. Das Aufspringen, vielleicht sogar aus dem Schlaf heraus, auf den Einsatzwagen, dahin, wo´s brennt.
Was ich an den Löschzwergen und ihren Kamerad*innen lerne, ist Lebensschule. Vorbereitet sein.
In dem Wörtchen „vorbereitet“ steckt schon „bereit“.
Um „bereit“ zu sein, muss ich vorher überlegen, was ich brauche, damit alles passt, wenn ich´s brauche. So wie ich meinen Rucksack packe vor eine Wanderung, so wie ich vorkoche, damit ich was von den Gästen und dem Fest habe. Und nichts verpasse.
Es ist schon originell: die das Feuer löschen sollen, sind bestens vorbereitet. Die das Feuer in die Nacht tragen sollen, sind es nicht. Zumindest nicht alle. Dabei ist es doch die einmalige Gelegenheit für die zehn Jungfrauen, Braut und Bräutigam im festlichen Fackelzug zu geleiten. Doch der Bräutigam bleibt aus. Enttäuschend. Eben noch fiebert man einem Höhepunkt entgegen, dann breitet sich plötzlich allseits bleierne Müdigkeit aus. Alle Zehn werden schläfrig. Und alle Zehn schlafen ein. Und ich kann sie so gut verstehen.
Diese Müdigkeit, die einen überkommt, wenn man wacht. Am Bett eines Kranken, gar eines Sterbenskranken.
Diese Müdigkeit in den immer wiederkehrenden Konflikten, in denen wir immer wieder die gleichen Muster pflegen und sie nicht durchbrechen können.
Diese Müdigkeit im Hoffen darauf, dass mindestens die Vernunft siegt, wenn die Liebe zu viel ist, um so etwas wie Frieden zu wagen.
Diese Müdigkeit, auszuharren mit langem Atem und der Angst, dass mein seelisches Sauerstoffgerät irgendwann piepst, weil die Luft raus ist.
Diese Müdigkeit zu brennen oder wenigstens den glimmenden Docht am Leben zu halten, bevor ich ausbrenne. Vor dem Burn-Out.
Es gibt solche Warte- und Schlafenszeiten, wo nichts vorangeht. Und es darf sie geben. Zeiten, in denen es immer weiter in die Nacht hineingeht. In denen ich nur abwarten kann, was auf mich zukommt. Und ich mich nur klammern kann wie die Braut an das Versprechen ihres Bräutigams. Dass das Fest eben doch nicht abgeblasen sein wird. Dass ich weiterkommen und hier nicht stecken bleiben will.
In der Mitte der Nacht, wenn sie sich langsam wieder dem Tage zuneigt, geschieht die Wende ins Helle, wird es lebendig. Lautes Rufen weckt die Schlafenden. Es geht los. Die einen sind bereit und haben Öl, die anderen sind es nicht und haben keins. Die „Klugen“ heißen ab jetzt in der Geschichte „die, die bereit waren“. Sie sind aus dem Schlaf heraus ansprechbar und bereit und machen ihre Lampen fertig mit dem Öl, das sie mitgenommen haben.
Ich frage mich, was ich durch meine Müdigkeit hindurchtrage, damit ich aus dem Schlaf heraus bereit bin. Was ist der Stoff, der meine Hoffnung und Sehnsucht weiter brennen lässt, auch wenn es länger dauert, als gedacht? Was gibt mir Luft, die mich atmen lässt, singen und beten? Was ist mein Öl?
Der Mystiker Meister Eckhardt hat im 13. Jahrhundert etwas geschrieben, was mir Denkstoff gibt:
„Solange ich meine schöpferischen Gaben beachtet habe, konnte ich frei beten und als Mensch wachsen. Habe ich mich jedoch an der Leugnung dieser Gaben beteiligt, so ging es mir schlecht. Meine Liebe zum Leben schwand. Ich betete nicht mehr. Ich wurde kleinmütig und zynisch oder trieb mich bis an den Punkt, wo ich erschöpft und ausgebrannt war. Ich litt dann am Arbeitszwang, um so auszugleichen, was ich meinem schöpferischen Selbst verweigerte.“
Worte aus dem 13. Jahrhundert. Die das Ausbrennen schon kennen. Und das Licht, das ein Menschenleben hell macht. Das Licht ist die Erkenntnis, dass ich ein Geschöpf Gottes bin. Dass ich Gaben habe, also dass ich was kann. Und dass Gott mich, so wie ich bin, eingeladen hat zu diesem großen Fest, das „Leben“ heißt. Und dass es verdammt schade wäre, wenn ich bei diesem Fest nicht leuchten würde. Nicht hell im Gemüt wäre. Nicht wach im Geist. Nicht lebens-lustig.
Also frage ich mich mit Meister Eckhardt: Bleibe ich trotz meiner Müdigkeit ansprechbar? Rechne ich damit, dass ich Momente der Ewigkeit in der Zeit entdecken werde? Momente, die über das hinaus weisen, was erwartbar ist und für meine Augen sichtbar?
Am Übergang in die Winzerzeit schaue ich auf meine Ölvorräte. Nicht nur im Heizungskeller. Ich sammle Bilder, Lieder, Texte, die mich wärmen und die mir Energie geben, damit ich mindestens inwendig leuchte. Und zu dieser Energie gehört mein Fragen und Rufen nach meinem Teampartner, um die Stufen des Lebens zu erklimmen, die manchmal mindestens hüfthoch sind. Vor denen ich mir löschzwergenklein vorkomme.
Unsere Glaubensvorfahren hoben ihre Augen auf zu den Bergen und fragten nach Hilfe. Und sie landen in ihrer Antwort bei dem, der Himmel und Erde gemacht hat. Dich und mich dazu. Sie kommen zu der Gewissheit, dass der Schöpfergott nicht schläft noch schlummert. Der Schatten spendet, wenn es heiß zu geht. Der vor Ausrutschern bewahrt. Und anderem Übel.
Heute früh lasse ich mir diese alten Worte zu Herzen gehen. Sie speisen meinen Ölvorrat mit Vertrauen ich Gottes Verheißung der ewigen Gemeinschaft mit ihm, der Verheißung neuen Lebens, vom neuen Himmel und der neuen Erde. Und dass Gott bei den Menschen wohnt. Nicht länger als eine Armlänge entfernt. Und dass eine Zeit kommt, in der alle Mühsal, aller Schmerz, alle Tränen ein Ende haben werden.
Diese Verheißung und mein Vertrauen darin, gehört zu dem Öl, das ich in meiner Lampe habe, um bereit zu sein. Mit dem ich aus dem Schlaf heraus bereit bin zu leuchten. Und sei es um Mitternacht. Das ist eine grandiose Aussicht, die noch über die vom Schanzenturm hinausgeht. Ein Fest in Zeit und Ewigkeit. So sei es. Amen.